In Deutschland seien die Sender zu feige für gute Serien, frische Ideen gebe es auch hierzulande genug, hieß es lange. Nachdem Netflix diese Ideen gerade verworfen hat, muss man wohl einer härteren Wahrheit ins Gesicht sehen – eine Polemik.

Stuttgart - Eine satte Demütigung der hiesigen Produzenten hatte der amerikanische Video-on-Demand-Dienst (VoD) Netflix gewiss nicht im Sinn, als er vor nicht einmal zwei Monaten auch auf den deutschen Markt kam. Aber eine satte Demütigung ist es geworden.

 

Die Strategen von Netflix sind nämlich nicht so anmaßend und altmodisch, die ganze Welt nur mit amerikanischen Geschichten beglücken zu wollen. Überall, wo sie ihr netzgestütztes Angebot für Abonnenten freischalten, suchen sie die Zusammenarbeit mit einheimischen Stoffentwicklern. Sie fordern auf, ihnen Projekte vorzustellen, für die andere zu feige waren. Sie suchen Serienideen mit nationaler Verankerung, die allerdings – das ist eine große Einschränkung – auch im Ausland Interesse wecken können. Aus Deutschland, bekundeten der Netflix-Chef Reed Hastings und sein Programmchef Ted Sarandos, sei leider nichts annähernd Brauchbares eingereicht worden. Eine deutsche Netflix-Serie wird es vorerst also nicht geben.

Das lässt deshalb erstaunt und auch ein wenig erschreckt aufhorchen, weil gemeinhin, von Autoren wie Produzenten, die Mumm- und Fantasielosigkeit von privaten wie öffentlich-rechtlichen Fernsehredakteuren und Senderchefs für die deutsche TV-Malaise verantwortlich gemacht wird. „Man dringt mit Ideen nicht durch“, heißt es, oder auch mal: „Unser tolles Konzept wurde bis zur Unkenntlichkeit verändert“. Das alles suggerierte: in den Schubladen schlummern hierzulande jede Menge Film- und Serienideen, deren couragierte Umsetzungen es mit dem aufnehmen können, was in USA und Frankreich, in Großbritannien und Skandinavien an spannenden Fiktionen auf die Schirme kommt.

Die Schubladen sind leer

Nun muss man vom bequemen Denkmuster des Nibelungenhorts deutscher Serienideen, über den glanzverdeckend der dumpfe Strom der Routineproduktionen dahinwälzt, wohl Abschied nehmen. Wenn man nicht in ein wilhelminisches Denken vom deutschen Sonderweg verfallen will – wonach unsere Serienideen so toll wären, dass sie von Ausländern eben gar nicht erfasst werden können –, muss man einräumen, dass die Schubladen leer sind. Die tatsächlich produzierten deutschen Serien, die man ohne Kopfschmerzen und Schwindelanfälle schauen kann, „Der Tatortreiniger“ zum Beispiel oder „Weissensee“, sind nicht glitzernde kleine Kostproben des großen Schatzes, sondern momentan wohl doch schon der Schatz selbst.

Dieses Jahr hat eine Zuspitzung gebracht, wie sie kein noch so fieser Polemiker hätte zurechtzüngeln können. Zahlende Netflix-Kunden konnten sich die brillant geschriebene, inszenierte und gespielte zweite Staffel der Politbetriebsserie „House of Cards“ mit Kevin Spacey als US-Vizepräsident anschauen, die bislang spektakulärste Eigenproduktion des VoD-Schrittmachers.

Die das Bezahlfernsehen mehrheitlich noch immer scheuenden, da mit Zwangsgebühren für die Öffentlich-Rechtlichen belasteten deutschen Zuschauer dagegen bekamen von Sat1 „Die Staatsaffäre“ frei Haus, ein Eventmovie mit Veronica Ferres als deutscher Bundeskanzlerin, die sich zwischen Werkeln in Kabinett und Küche mal eben in den französischen Staatspräsidenten verliebt. Das war wirklich so grotesk, wie es sich liest, also nicht einfach eine missglückte einzelne Schnulze, sondern der stolz zur Schau getragene Hirnschaden des hiesigen Fernsehangebots. Alles, was an reale Menschen und Gefühle, Machtkämpfe und Strukturen, Krisen und Glücksstrategien erinnert, muss draußen bleiben.

Sie werden’s bitter lernen müssen – oder eben nicht, könnte man nun sagen: entweder alternative Anbieter setzen sich mit besseren ausländischen Angeboten durch, dann muss die deutsche Branche reagieren und auf breiter Front erfolgreiche Konzepte adaptieren, oder diese Anbieter scheitern hierzulande, dann ratzt die Mehrheit eben zufrieden weiter unter einer bis ans Kinn herabgezogenen Michelmütze miefiger Kuschelfantasien um Bergdoktoren, Schwarzwaldhotels und Knitterkommissare mit sozialpädagogisch unterfütterter Problemerklärungsgarantie.

Nicht alles eignet sich für’s Durchreichen

Aber so einfach ist es leider nicht. Ein deutsches „House of Cards“, „Breaking Bad“ oder „The Wire“ kann es nicht geben, nicht durch schlichte Aneignung der Konzepte und Drehbücher. Nicht alles eignet sich so fürs Durchreichen durch die Kulturen wie das Konzept der britischen Serie „The Office“, aus der in Deutschland „Stromberg“ wurde. Das Büroleben ist offenbar überall ähnlich furchtbar.

Werte und Mythologien, Denkfiguren und Leitbilder, Freiräume und Experimentierfreibriefe sind für amerikanische Figuren andere als für deutsche. Wer hierzulande Qualitätsserien entwickeln möchte, hat es schwerer als seine US-Kollegen, noch bevor irgendein Bedenkenträger zu japsen und zu röcheln anfängt. Die fiktiven Charaktere sind eingeengter und oft auch saturierter als ähnliche Gestalten in einem US-Konzept es wären. Angegangen werden aber muss diese Herausforderung: in den nächsten Jahrzehnten werden TV-Serien mitbestimmen, welche Länder, Kulturen, Regionen global attraktiv sind, wo sich eine gebildete, mobile, Jobs generierende Schicht zu Hause fühlt und wo nicht.