Der Verein Deutsche Sprache kritisiert, dass unsere mündliche Ausdrucksfähigkeit immer mehr verkommt. Durch Anglizismen bilde sich ein Wörtermischmasch, durch die neuen Medien verflache die Grammatik. Andere sehen den Wandel der Sprache positiv.

Stuttgart - Achtung, es folgt jetzt eine kurze, aber mühsam zu lesende Passage: „Anitzo scheinet es, daß bey uns übel ärger worden und hat der Mischmasch abscheulich überhand genommen, also daß die Prediger auf der Canzel, der Sachwalter auf der Canzley, der Bürgersmann im Schreiben und Reden, mit erbärmlichen Französischen sein Teutsches verderbet. (. . .) Gleichwohl wäre es ewig Schade und Schande, wenn unsere Haupt- und Helden-Sprache dergestalt durch unsere Fahrlässigkeit zu Grunde gehen sollte, so fast nichts Gutes schwanen machen dörfte.“ So würde sich heute niemand mehr ausdrücken. Kein Wunder, denn diese Klage schrieb der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz bereits im Jahre 1682 – sie ist ein sehr frühes Beispiel für populäre Sprachkritik.

 

Grammatik und Wortschatz wandeln sich mit der Zeit. Sehr deutlich wird das an diesem Beispiel: „fater unseer, thu pist in himile, uuihi namun dinan, qhueme rihhi din, uuerde uuillo diin, so in himile sosa in erdu.“ Ein heutiger Leser kann diesen althochdeutschen Satz aus dem achten Jahrhundert nur mit Mühe als Vaterunser erkennen. Inhaltlich stimmen viele Deutsche Leibniz zu. Einer Umfrage im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Sprache zufolge fürchten 65 Prozent der Deutschen, die Sprache verkomme immer mehr. Organisationen wie der Verein Deutsche Sprache (VDS), Ausrichter der Podiumsdiskussion „Medienkompetenz gut, Deutschkenntnisse ungenügend – wie ist es um die Bildung bestellt?“ am Dienstag in Halle, pflichten der Kritik bei. Sie konzentrieren sich auf zwei Punkte.

Gefahr im Verzug

Der erste lautet, dass das Deutsche durch englischsprachige Wörter, sogenannte Anglizismen, überflutet werde und dabei seine Identität verliere. Es bilde sich eine Mischsprache, das „Denglische“. Ein Satz wie „Erfolgreiche Consultingprojekte im Business-Continuity- und Disaster-Recovery-Bereich benötigen zwingend Management-Attention“, mit dem eine Schweizer Unternehmensberatung für sich wirbt, kann in der Tat nur Kopfschütteln auslösen. Der VDS-Vorsitzende Walter Krämer kritisierte, dass ein neues Wohnquartier in Düsseldorf „Urban Parklane“ genannt werde und man dort „Seaside Flats“ offeriere. Die englische Zeitung „Times“ bezeichne dies als „sprachliche Unterwürfigkeit“, so der VDS. Allerdings gebrauchte das Blatt die Formulierung nur ein einziges Mal – in einem Artikel 1960.

Der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg von der Universität Potsdam schätzt die Zahl der Anglizismen im Deutschen auf etwas mehr als 11 000. Der Gesamtwortschatz umfasse fünf Millionen Wörter. Noch Anfang des letzten Jahrhunderts wurden nur 3,7 Millionen Wörter verwendet, heißt es im „Bericht zur Lage der Deutschen Sprache“ der Akademie für Sprache und Dichtung. Er wurde Anfang März der Öffentlichkeit präsentiert.

Dennoch sieht der VDS Gefahr in Verzug. Er hat einen Anglizismenindex ins Netz gestellt, der vor vielen englischen Wörtern warnt, die im Begriff seien, ihre deutschen Entsprechungen zu verdrängen.

Durch Twitter, SMS und Facebook verflache Grammatik

„Viele der vom VDS monierten Anglizismen werden außerhalb von Marketing und Werbung kaum verwendet“, sagt hingegen der Linguist Thomas Niehr, der sich an der  Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen mit populärer Sprachkritik beschäftigt. Zumal dienten viele von ihnen der Differenzierung. Ein Nerd ist eben nicht nur ein „Sonderling“ oder „Einfaltspinsel“.

Die VDS-Bemühungen sind keine neue Erscheinung. Die Schriftsteller Philipp von Zesen im 17. und Joachim Heinrich Campe im 18. Jahrhundert schlugen unzählige Übersetzungen für Lehnwörter vor, die damals vor allem aus dem Griechischen, Latein und dem Französischen kamen. Aus Parterre sollte Erdgeschoss werden, aus Horizont Gesichtskreis, aus Bibliothek Bücherei und aus Karikatur Zerrbild. Vielfach haben beide Wörter überlebt, zum Teil jedoch mit unterschiedlicher Bedeutung.

Verarmung oder Sprachwandel?

Der zweite Vorwurf lautet, die Grammatik verflache durch Twitter, SMS und Facebook. „Die deutsche Sprache wird immer weniger gepflegt“, beklagte jüngst der Vorsitzende des Rechtschreibrates, Hans Zehetmair. Sie werde in den Neuen Medien vereinfacht und ohne Kreativität wiedergekäut. In der Tat bestätigen Wissenschaftler, dass die grammatische Vielfalt abnimmt. „Starke Konjunktive wie ‚hülfe‘ benutzt kaum noch jemand“, sagt Professor Niehr. Sie werden durch Konstruktionen mit „würde“ ersetzt. Auch ließen sich Genitiv und Dativ seltener unterscheiden. Dies sei aber Teil einer jahrhundertelangen Entwicklung, nach der die gesprochene Sprache nach Vereinfachung strebe.

Wie bei den grammatischen Fällen: der indogermanische Instrumentalis, der im Althochdeutschen noch erkennbar war, verschmolz mit der Zeit mit dem Dativ. Statt von Verarmung sprechen die Experten deshalb lieber vom Sprachwandel. Den hat der amerikanische Linguist John McWhorter einmal sehr poetisch so beschrieben: „Sprache gleicht den Wolken. Wir schauen auf Wolkengebilde am Himmel und wissen, dass sie flüchtig sind. Wenn wir eine Stunde später wieder nach oben blicken, werden sie mit großer Sicherheit anders aussehen.“