Der Regisseur Reinaldo Marcus Green kommt mit seinem intimen, vielschichtigen Porträt „Bob Marley: One Love“ der Legende Marley und seiner Musik auf die Spur.

Im Jamaika des Jahres 1976 gehört politische Gewalt zum Alltag. Die Wahlkämpfe zwischen der sozialdemokratischen Peoples National Party (PNP) und der rechtskonservativen, von der CIA unterstützten Jamaican Labor Party (JLP) werden in der früheren britischen Kolonie zunehmend mithilfe von paramilitärischen Banden ausgetragen. Mehr als hundert Menschen sterben im Zuge der bewaffneten Konflikte um die Wahl 1976.

 

Mitten in dieser polarisierten Gesellschaft steht ein Mann, der wie kein anderer im Land verehrt wird und mit seinen Reggaeklängen und politisch-spirituellen Lyrics Körper wie Herzen der Menschen in Bewegung bringt. Bob Marley (Kingsley Ben-Adir) ist eine Ikone auf der Insel. Seine Songs predigen Gerechtigkeit, Einheit, Liebe und Frieden, aber das Haus, in dem Marley lebt und seine Musik aufnimmt, gleicht einer Festung mit bewaffneten Wachen.

Attentat auf eine Ikone

Seit er seinen Auftritt beim „Smile Jamaica“-Konzert angekündigt hat, das ein Zeichen gegen die Gewalt im Land setzen will, ist Marley zur Zielscheibe parteipolitischer Angriffe geworden. Zwei Tage vor dem Konzert dringen bewaffnete Täter auf das Grundstück und schießen auf Bob Marley, seine Frau Rita (Lashana Lynch) und zwei weitere Personen.

Das Attentat steht am Beginn von Reinaldo Marcus Greens „Bob Marley: One Love“, der dem 1981 im Alter von 36 Jahren verstorbenen König des Reggae ein verdientes Denkmal setzt. Der Film wurde in enger Zusammenarbeit mit der Marley-Familie auf die Beine gestellt. Sohn Ziggy, Tochter Celina und die Witwe Rita Marley gehören zu den Produzentinnen. Trotzdem ist aus dem Projekt kein ikonisches Heiligenbildchen geworden, sondern ein intimes, differenziertes Porträt, das dem besonderen Geist Marleys und seiner Musik auf die Spur zu kommen versucht.

Zwei Tage nach dem Attentat steht er, genauso wie seine Frau Rita als Background-Sängerin, trotz Verletzungen unter Polizeischutz auf der Bühne. Aber auch wenn Marley während eines Songs das Shirt hochzieht und dem Publikum die Schusswunden zeigt, die ihn nicht getötet haben, ist die Angst vor einem weiteren Angriff in seinem Kopf. Nach dem Konzert bringt er sich, seine Familie und die Band The Wailers aus der Schusslinie und geht ins Exil nach Großbritannien.

In London will er frei von Einschüchterungen und Bedrohung ein neues Album kreieren. Mit gebührender Ausführlichkeit zeigt Green („King Richard“) den poetischen, musikalischen und spirituellen Schaffensprozess. Die Entstehung einzelner Songs allein am Küchentisch, in gemeinsamen Wohnzimmer-Improvisationen oder Studio-Sessions werden hier in feinen Montage-Sequenzen simuliert, die den Flow von Marleys Musik tief eingeatmet haben.

Europa im Reggae-Fieber

Ähnlich wie im Queen-Film „Bohemian Rhapsody“ (2018) lassen auch hier neben den Konzerten vor allem die Szenen, in denen die Genese geliebter Stücke wie „Exodus” oder „Jammin” auf der Leinwand Gestalt annehmen, das Herz eines jeden Musikfans höher schlagen. Am Ende steht das legendäre Album „Exodus“, das den internationalen Durchbruch von Bob Marley and the Wailers besiegelt.

Das Reggae-Fieber erfasst ganz Europa und füllt die Konzertsäle in London, Paris, Kopenhagen und West-Berlin. Marley badet im Rausch des Erfolges, und es ist seine Frau Rita, die ihn im Streit auf den Boden zurückholt. Die fabelhafte Lashana Lynch, die in „Keine Zeit zu sterben” schon Daniel Craigs James Bond an die Wand spielte, kann in dieser Szene abermals ihre kraftvolle Präsenz entfalten. Als die ersten Anzeichen der Krebserkrankung auftauchen, die Bob Marley drei Jahre später das Leben kosten wird, kehrt er 1978 zurück nach Jamaika, um in Kingston erneut ein Friedenskonzert zu geben. Vor dem voll gefüllten Stadion ruft er die Führer der verfeindeten Parteien auf der Bühne und bringt sie dazu, einander die Hand zu reichen.

Aber „Bob Marley: One Love“ nimmt nicht nur Bezug auf den musikalischen und politischen Einfluss des Reggaekünstlers, sondern zeigt auch seine tiefe Verwurzelung in der Rastafari-Religion, die biblische Elemente mit panafrikanischem Gedankengut zusammenbringt. Es sind nur einige Szenen, die in diese spirituelle Welt einführen, aber zusammen mit den untertitelten Songtexten sind sie für das Verständnis von Marleys religiös-philosophischen Hintergrund unerlässlich.

Und so gelingt Green mit „Bob Marley: One Love” ein vielschichtiges Musikerporträt, das ausgehend von einem zweijährigen Lebensausschnitt mit nur wenigen Rückblenden das persönliche und kulturelle Phänomen erkundet. Kingsley Ben-Adir, der als Malcolm X in „One Night in Miami“ (2020) schon Ikonen-Erfahrungen sammeln konnte, beweist hier erneut seine enorme Wandlungsfähigkeit, füllt die Figur mit einem sanft glimmenden Charisma und lässt in den Konzertsequenzen den König des Reggae eindrucksvoll wieder auferstehen.

Bob Marley: One Love. USA. Regie: Reinaldo Marcus Green. Mit Kingsley Ben-Adir, Lashana Lynch, James Norton. 104 Min., ab 12 Jahren. Start: 15.2.