Die britische Krimi-Tragikomödie „Kleine schmutzige Briefe“ erzählt vom Hass gegen Frauen in den 1920er Jahren – blendet jedoch die Diskriminierung anderer Menschen völlig aus.

Fluchen, trinken, in wilder Ehe leben; all das war tabu für eine ehrbare Frau vor hundert Jahren. Wer sich so daneben benahm, konnte nicht darauf hoffen, als Dame akzeptiert zu werden. Rose Gooding (Jessie Buckley) flucht, grölt und trinkt trotzdem für ihr Leben gern. Nach dem Tod ihres Mannes ist sie mitsamt neuem Freund Bill (Malachi Kirby) und Tochter Nancy (Alisha Weir) in den kleinbürgerlichen britischen Küstenort Littlehampton gezogen. Dass sie sich dort ausgerechnet mit der sittentreuen Edith Swan (Olivia Colman) anfreundet, grenzt an ein Wunder. Doch als vom Vater (Timothy Spall) streng kontrollierte Hausfrau bewundert Edith ihre ungezähmte Freundin sehr. Bis sie plötzlich anonyme Briefe erhält, gespickt mit unflätigsten Flüchen. Schnell gerät Rose als Verfasserin ins Fadenkreuz der von männlichen Spießern dominierten Polizei. Nur Gladys Moss (Anjana Vasan), die erste weibliche Polizeibeamtin Littlehamptons, plagen Zweifel an Roses Täterschaft.

 

Verneinung historischer Rassismen

Thea Sharrocks feministische Krimi-Tragikomödie „Kleine schmutzige Briefe“ fußt auf historischen Begebenheiten, so der Vorspann. Tatsächlich wirkt die frauenverachtende Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg, wie Sharrock sie beschreibt, fast zu weit vom Hier und Heute entfernt, als dass man sie noch fürchten müsste.

Die Bevölkerung Littlehamptons zeichnet die britische Theater- und Filmregisseurin fast durchgängig in Form spöttischer Karikaturen. Mit offensichtlichem Spaß spielt die mehrfach ausgezeichnete Olivia Colman Edith Swan als unter Dauerstress stehende Altjungfer. Das Gegenteil verkörpert Jessie Buckley als ungeniert lebensfrohe Witwe, die sich um Anstand und Sitte wenig schert. Diese Typenklischees sind lustig, obwohl der Plot selbst düstere Züge trägt. Die dunkle Wucht von Mobbing und Ausgrenzung eines Menschen aufgrund von Vorurteilen und falschen Verdächtigungen will Thea Sharrock offenbar nicht allzu schwer wirken lassen. Sie verharmlost die grausamen Umstände sogar, indem sie in ihrer Besetzung historische Rassismen verneint.

So lebt Rose nicht nur in wilder Ehe; ihr neuer Partner Bill ist sogar ein schwarzer Mann – er bleibt in der weißen Nachbarschaft erstaunlicherweise unbehelligt. Seltsam auch, dass die schwarze Postbeamtin Kate (Lolly Adefope) als gleichberechtigtes Mitglied des Kirchenclubs mit weißen Frauen beim Tee sitzen kann. Und Gladys Moss wird von den Kollegen zwar wegen ihres Geschlechtes gemobbt, nicht aber wegen ihrer Herkunft und dunklen Hautfarbe. Thea Sharrock will zwar von Misogynie und männlicher Unterdrückungsgewalt erzählen, tilgt gleichzeitig aber andere, historisch verbriefte und bis heute wirksame Formen des Menschenhasses aus ihrer Erzählung, um moderne Forderungen nach divers besetzten Ensembles zu erfüllen. Eine fragwürdige Strategie im Kampf gegen Ausgrenzung.

Kleine schmutzige Briefe. UK 2023. Regie: Thea Sharrock. Mit Olivia Colman, Anjana Vasan. 101 Minuten. Ab 12 Jahren, Start 28.3.