Justine ist nach ihrem Zusammenbruch nun Gast im Schloss, aber zunächst noch eingeschlossen in ihre Depression. "Es schmeckt wie Asche!", sagt sie leise, als sie ihr früheres Lieblingsgericht probiert. Dass sich das Sternbild verändert hat, ist ihr zuerst aufgefallen, jetzt registrieren auch die anderen den titelgebenden Planeten Melancholia. Er werde an der Erde vorbeifliegen, sagt der Schlossherr (Kiefer Sutherland), der seine Gelassenheit nur vortäuscht. Seine Frau Claire aber hat panische Angst und will etwas tun. Justine jedoch wird in diesem todesfahlen Licht nun die Ruhe selbst, sie hat ja immer schwarz gesehen, die Katastrophe vorausgeahnt, nein, geradezu herbeigesehnt, und wenn sie nun ihre Blicke in den Himmel wirft, wird sie groß und rund bestätigt. Die Menschen seien schlecht, sagt sie kühl, um die Erde müsse man deshalb nicht trauern.

 

So zelebriert Lars von Trier das Ende der Welt als göttliche Strafe. Wobei die Welt als bürgerliche beschrieben wird: die Natur, die Zeit, die Sexualität, alles wird von ihr domestiziert, eingepasst, zurechtgeschnitten. Sogar die Apokalypse will Claire noch auf kultivierte Weise begehen, auf der großen Schlossterrasse sitzend, Wein trinkend, Beethovens Neunte hörend. "Scheißdreck!", sagt dazu Justine, die sich jetzt als Seherin versteht und immer mehr zum Sprachrohr des Regisseurs wird. Aber Lars von Trier ist noch viel mehr als Justine: Er ist auch dieser zerstörerische Himmelskörper selbst, der sich bisher hinter der Sonne (!) versteckt hat. Seine eigene Depression, von der sich schon sein schaurig-düsterer Vorgängerfilm "Antichrist" nährte, wächst sich planetengroß zu einem schwarzen Ego aus, das uns in Bann ziehen will. Schaut her, so groß ist meine Krankheit! Und so groß lasse ich uns alle untergehen!

Von Trier lässt wieder die Frauen leiden

Lars von Trier arbeitet, wie vor ihm etwa Poe, Lovecraft, Kubin oder E.T.A. Hoffmann, auf der dunkel-romantischen Seite der Kunst. Gerade deshalb aber entkommen seine in jedem Sinn verwunschenen Bilder nicht der bösen Ironie, dass auch sie das Weltende äußerst stilvoll und geradezu als Kompendium westlich-bürgerlicher Zivilisation und Kultur feiern. Von Dürers vieldeutigem Kupferstich "Melencolia" über Millais' als Wasserleiche drapierte "Ophelia" bis hin zum russischen Suprematismus als sozusagen falscher, weil abstrakter Kunst reicht die Zitierwut des Regisseurs. Auch greift er wieder eigene Themen auf, lässt wie so oft Frauen leiden, so dass auch der Name Justine eine Anspielung sein dürfte auf die dressierte Titelheldin des Romans von de Sade. Die große "Melancholia"-Exegese wird also nicht lange auf sich warten lassen. Und so wird dieser Film die Welt, aus der heraus er entstanden ist, nicht zerstören, sondern sich in sie einspeisen - als kunstvolles Zeugnis eines schweren Unbehagens.