Wolfgang Michalek mischt das Stuttgarter Schauspielhaus mächtig auf. Sein Auftritt als Götz von Berlichingen lässt niemanden im Publikum kalt.

Stuttgart - Was für ein Glück! Fast hätte er die 150 Schilling in drei Bier investiert statt in die Aufnahmeprüfung fürs Wiener Konservatorium. Nichts gegen Gerstensaft, aber ohne Wolfgang Michalek fehlte jemand in der Theaterwelt. Die Körperlichkeit, mit der er die Bühne einnimmt, dabei Wucht mit Präzision und Kraft mit Sensibilität paarend – das hinterlässt unvergessliche Eindrücke. Im Stuttgarter Schauspielhaus glänzt Michalek als gebrochener Titelheld im „Urgötz“, aber auch, mit absurdem Humor, als schmieriger Bürgermeister im „Besuch der alten Dame“ – und nur in der Szene, in der er in die Stuhlreihen springt und die Zuschauer ins Spiel einbindet, wird einem bange vor seiner Heftigkeit und Energie.

 

Jetzt, im Foyer des Schauspielhauses, sitzt ein ganz anderer Wolfgang Michalek: ein bescheidener Mensch, der die Exaltiertheit auf der Bühne gelassen hat. Mit leichtem Schmäh erzählt er von seiner Zeit in Wien und dass er während einer „Ferialpraxis“, eines Ferienjobs, in einer Wäscherei lauter Reclamhefte verschlungen hat. Dass er während der Schulzeit viel Theater gespielt und Regie geführt hat. Dass er eigentlich Lehrer werden wollte und an der Uni schon für Sport und Germanistik eingeschrieben war. Doch dann kam das Vorsprechen. Siehe oben.

Wie alle Wiener pflegt auch Michalek eine Hassliebe zu seiner Heimatstadt, weshalb er irgendwann dem Ruf des Intendanten Wilfried Schulz ans Schauspiel Hannover gefolgt ist. Unter seiner Leitung hat Michalek alles auf die Bühne gebracht, Klassiker, Boulevard, Liederabende – und dabei „sehr viel“ gelernt. Auf die „Hermannsschlacht“ von Kleist hat er gar ein halbes Jahr lang hingelebt. „Heute arbeite ich ökonomischer“, sagt er – aber offensichtlich nicht weniger intensiv, denn wenn er über Theater spricht, schwingt eine Euphorie in seiner Stimme mit.

Je älter er wird, desto mehr reizt ihn das Peinliche

Ob es nach langjähriger Bühnenerfahrung noch peinliche Momente gibt? Falsche Frage! „Je älter ich werde“, sagt jetzt der 46-jährige Michalek, „desto eher suche ich die Peinlichkeit, die mich an die Grenze führt.“ Als Schauspieler könne man natürlich auch Schubladen ziehen, man entwickle im Lauf der Zeit eine Methode, „um eine Figur herumzusurfen, ohne sie zu tangieren“, aber das ist nicht sein Anspruch. Wichtig sei es, „in jeder Figur das Entgegengesetzte zu suchen: Man muss im Bösewicht auch das Reine und Gute finden.“

Die Intensität, mit der er Rollen erarbeitet, ist für Zuschauer förmlich zu greifen. Aber um an diesen Punkt zu gelangen, braucht es einen geschützten Rahmen. Darum sei im Theater eines unabdingbar: Vertrauen. Vertrauen auch als Vorschuss, denn oft kenne man die Regiehandschrift vor Beginn der Proben noch nicht. Und? Ging das schon mal schief? Michalek zögert: „Ja, ein Mal habe ich die Proben verlassen und kam nicht wieder.“ Aber das sei länger her. „Heute bringe ich mehr Toleranz auf. Früher war ich viel unversöhnlicher als heute.“

Nach Stuttgart ist der Schauspieler auf Einladung des regieführenden Intendanten Armin Petras gekommen. An der Zusammenarbeit mit ihm reizt Michalek „der Laborcharakter der Arbeit, die Anarchie“. Es seien sehr humorvolle Proben, in denen der Inhalt umkreist wird und auch absurde Dinge probiert werden dürfen. Im Probenraum werde jede kreative Kraft zugelassen, denn jeder, der am Stück mitwirkt, habe das Recht, etwas zum Gelingen der Inszenierung beizutragen – und die Pflicht! Welchen Beitrag er und andere Akteure zur Petras-Regie leisten, kann das Publikum aufs Neue schon Ende Januar im „Leben des Galilei“ und Ende Februar im „Kalten Herz“ sehen. Vermutlich wird Michalek auch in diesen Stücken überzeugen, denn unter den günstigen Stuttgarter Bedingungen kann er umsetzen, was er sich unter seinem Beruf vorstellt: Er kann sich zur Verfügung stellen, als Körper, als Kopf, als Stimme, aber auch als Widerstand, denn: „Reibung“, sagt Michalek, „ist konstruktiv.“

Er hat keine Lust auf Fernsehen

Gibt es die Sehnsucht, die Seiten zu wechseln und selbst Regie zu führen? Das Nein kommt prompt. Er fühlt sich wohl auf seiner Spielerseite, sein Umgang mit der Regie sei von Respekt geprägt. Und wie steht es mit den Verlockungen des großen Gelds bei Film und Fernsehen? Michalek lacht: „Natürlich habe ich nichts gegen das Geldverdienen.“ Er habe auch mal einen Rechtsanwalt oder einen Spurensicherer gespielt, aber diese Form der Schauspielerei liegt ihm nicht: „Da wird man morgens mit dem Wagen abgeholt und wartet stundenlang, um zwei Bilder zu drehen – das ist nicht sonderlich erfüllend.“ Wenn Film, dann nur eine Rolle, die ihm liege. Und das komme eben selten vor.

Was für ein Glück! Der kraftvolle Wolfgang Michalek, er soll auf der Theaterbühne bleiben. Sonst fehlte jemand. Jemand, der unvergessliche Eindrücke hinterlässt.