Beim Bau der neuen Ballettschule will das Land gegen Naturschutzgebote der Stadt verstoßen. Der Bezirksbeirat protestiert. Weitere Einsprüche sind zu erwarten.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Am deutlichsten formulierte es der FDP-Bezirksbeirat Christian Wulf: „Das geht so nicht.“ Er habe „schon lange kein Bauvorhaben erlebt, das so massiv in den Bestand eingreift“. Dem wird kaum jemand widersprechen – erwiesenermaßen. Gegen die Pläne für den gemeinsamen Neubau der John-Cranko-Ballettschule und der Akademie des Staatstheaters auf einem Grundstück oberhalb der Staatsgalerie hat von der Bahn bis zum Verschönerungsverein fast jeder Einspruch erhoben, den die Stadt im Zuge der Bauvorbereitungen gefragt hat – vor allem jeder, der sich für den Naturschutz engagiert.

 

Der Eingriff in die Natur ist auch für Laien offenkundig, denn bisher ist das etwa fußballfeld-große Grundstück eine baumbewachsene Wiese, deren Ökobilanz so ziemlich jeder Eingriff nur verschlechtern könnte. Eine Alternative ist laut Stadt nicht vorhanden. Aber überdies wünscht der Bauherr, gegen die Umweltschutz-Vorschriften der Stadt zu verstoßen und sogar gegen die Paragrafen des Naturschutzgesetzes. Pikanterweise ist der Bauherr die Landesregierung unter dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.

Die Bauarbeiten beginnen mit einer Rodung

Die Bauarbeiten sollen mit einer nahezu vollständigen Rodung des Geländes beginnen. Laut der Stadtplanerin Carolin zur Brügge sollen 83 Bäume gefällt werden, 19 bleiben erhalten. Was den Bezirksbeirat Mitte, der am vergangenen Donnerstag in einer Sondersitzung diskutierte, vor allem deswegen verärgerte, weil ein Teil der Bäume nur fallen soll, damit die Baustelle einfacher angefahren werden kann. „Wir haben eine Baustelleinrichtung auf der Straße angefragt“, sagte Zur Brügge. „Die Auskunft ist, dass dies nicht möglich ist beziehungsweise erheblich teurer.“

Als Ersatz sind 48 Neupflanzungen vorgesehen. Grüne und SPD ohnehin, aber auch Michael Scharpf von der CDU forderte „erheblich mehr, wir haben schließlich eine Baumschutzsatzung, die Ersatzpflanzungen vorschreibt“. Um einen Teil des Eingriffs auszugleichen, soll ein Gelände im Stuttgarter Westen aufgeforstet werden. Die Grundstücke dort sind zwar nicht bewaldet, aber bereits grün. Das Gelände ist eine Kleingartenanlage.

Über den Park streiten Stadt und Land

Der terrassierte Neubau erstreckt sich auf der einen Hälfte des Grundstücks. Die andere soll parkähnlich angelegt werden. Ob und wie große Teile dieses Parks öffentlich zugänglich sein sollen, ist zwischen Stadt und Land strittig. Mit dem Argument, es seien Gaffer zu erwarten, will das Staatstheater die Öffentlichkeit aussperren. Einstweilen ist ein Weg mitsamt Aussichtsplattform vorgesehen. Allerdings ist ohnehin offen, ob ein Park angelegt wird. „Es sind keine Mittel für die Grünanlage vorhanden“, sagte Zur Brügge. Ursprünglich war der Bau auf 25 Millionen Euro kalkuliert. Aktuell sind es 45. Eben wegen des Parks hat das Staatstheater bereits schriftlich einen weiteren Nachschlag gefordert. Was die Stadt betrifft, ist in den Unterlagen zu lesen, dass „kein Ermessensspielraum bei der Anwendung des Naturschutzrechts besteht“.

Zumal das Grundstück in der Halbhöhe liegt. Neubauten dort unterliegen strengeren Vorschriften als andernorts, weil sie den Luftaustausch mit dem Talkessel behindern. Eigentlich sind sie verboten. Das System auf dem Grundstück unterliege hoher Störanfälligkeit, urteilten die städtischen Klimatologen und schlugen als Kompromiss vor, dass die Dächer des Neubaus vollständig begrünt werden. Gehört wurden sie nicht. Lediglich 45 Prozent des Daches sollen bepflanzt, der Rest der Geselligkeit gewidmet werden. Belegschaft und Schüler wollen sich auf den Flachdach-Terrassen mit Blick über die Stadt entspannen.