Vom Herbst an bespielt die deutsche Schlagerkönigin monatelang die großen Hallen und Stadien der Republik, an sechs Abenden auch in Stuttgart. Ihr neues Album liefert die Musik dafür.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Kann man sich über Geschmack streiten? Über Helene Fischer kann man offenbar ausgiebig streiten. Keine deutsche Populärkultur-Künstlerin polarisiert so wie die 32-jährige Deutschrussin mit den stets gut gestylten langen blonden Haaren. Für die einen ist sie die deutsche Schlagergöttin, für die anderen eine Zumutung. Stimmt man in einer gut besetzten U-Bahn leise die Zeile an „A-tem-loos“, ergänzt die eine Hälfte der Anwesenden sofort „durch die Nacht“, während die andere Hälfte gequält aufstöhnt. Die einen jubeln: „Perfekte Partymucke, und man versteht sogar die Texte!“ Derweil sind die anderen schon auf der Flucht. Kein Comedian ohne bösen Helene-Fischer-Spruch im Programm („die singende Sagrotan-Flasche“, Jan Böhmermann) – dem prompt bei Facebook der Shitsorm folgt.

 

Nun geht die Schlacht der Geschmäcker in die nächste Runde: Am Freitag hat Helene Fischer unter dem Titel „Helene Fischer“ ihre neue CD herausgebracht; in der „Deluxe“-Ausgabe 24 neue Titel von „Nur mit Dir“ über „Gib mir deine Hand“ und „Dein Blick“ bis hin zu „Adieu“. Fast zwei Jahre sind seit ihrer Sommertournee durch zwölf Fußballstadien vergangen – über 850 000 Zuschauer besuchten damals die Konzerte; das dazugehörige Album „Farbenspiele“ von 2013 ist inzwischen über 3 Millionen Mal verkauft. Mit derlei Zahlen auf dem Konto ließe es sich problemlos mal eine Weile pausieren, durchatmen und die Fans vom bisherigen Bestand zehren.

Entsprechend hoch sind aber nun natürlich auch die Erwartungen der Star-Gemeinde an die Neuerscheinung, ist der Hype um die frischen Songs. Im Grunde steht Helene Fischer an einem durchaus kritischen Punkt ihrer Laufbahn. Vor zwölf Jahren gab die staatlich diplomierte Musicaldarstellerin im deutschen Fernsehen ihr Solo-Debüt. Ihre Karriere seitdem ist überwältigend, Fischers Rang im deutschen Popgeschäft völlig singulär. Doch der Erfolg hat eine Kehrseite. Nichts fürchten enthusiasmierte Fans so wie die Veränderung, nichts wünschen sie sich mehr als die stete Wiederholung des allseits Geliebten (selbst Bob-Dylan-Fans sollen bei dieser Einstellung ja schon beobachtet worden sein).

Das neue Album macht da weiter, wo „Farbenspiel“ aufgehört hat

Aber ist das eine interessante Perspektive für eine junge Künstlerin? Noch dazu, wenn sie über derartige künstlerische Qualitäten verfügt wie Fischer? Keine Frage, aus der gut gestylten Schlagerkönigin könnte sich bei ihren Ressourcen Schritt für Schritt eine vielfältige Entertainerin entwickeln. Dazu müsste sie ihr bisher erobertes Terrain aber langsam verlassen, in einem ersten Schritt zumindest die Genre-Grenzen einmal antippen. Aber will sie das überhaupt?

Um es kurz zu machen: Nein, einen Stilwechsel bringt das neue Album nicht mit sich. Aber ganz unabhängig vom eigenen Geschmack muss man in der Summe auf jeden Fall Anerkennung zollen – den perfekten Arrangements, dem satten Sound, der genau bedachten Dramaturgie der Lieder, vor allem der weiterhin strahlenden Stimme Fischers. Sie klingt schlicht und einfach gut.

„Helene Fischer“ macht exakt da weiter, wo „Farbenspiel“ aufgehört hat. Die Party soll nicht enden. Nicht umsonst ist die Titelzeile des Auftaktsongs „Nur mit Dir“ exakt dreisilbig – wie „Atemlos“. Da wartet der neue Stadion-Mitsing-Song. Wird die Fischer-Erfolgsgeschichte so spannend weitergedreht? Oder ist es nur Déja vu? Das wird wieder polarisieren.

Bei „Herzbeben“ wummern wogar die Elektrobeats

Auch vieles andere auf dieser CD wirkt wie eine Schar aufgekratzter alter Bekannter: „Sonne auf der Haut“, „Achterbahn“, „Das volle Programm“ – hier geht es weiterhin darum, das Leben auszukosten, die Nacht zum Tag zu machen, sich endlich stark zu fühlen in der Nähe des anderen: „Frei, frei, frei, wir sind Flieger, das geht nie vorbei.“ Beim ersten Durchhören bieten gerade zwei Songs einen gewissen Überraschungseffekt: „Herzbeben“ bricht die Schlagerlinie mit Elektrobeats, „Adieu“ präsentiert sich am Ende als Chanson im französischen Stil. So bleibt immerhin zum Kehraus ein kleiner Hauch von Melancholie, der nicht sofort wieder in großes Dur aufgelöst wird.

Wie auch immer man die neue „Helene Fischer“ einschätzen mag – mit diesen 24 Songs ist die Unterhaltungsmaschine machtvoll wieder in Betrieb genommen. Im September beginnt die Sängerin ihre neue Hallentournee. Bis zum März gibt es 69 Konzerte in Deutschland und Österreich, inszeniert vom Cirque du Soleil; viele davon sind bereits ausverkauft. In der Stuttgarter Schleyerhalle wird Fischer im Januar an fünf Abenden zu erleben sein. Und als wenn diese Strecke nicht schon Größe genug wäre, setzt die Künstlerin im Sommer 2018 auch noch zwölf Auftritte in deutschen Fußballstadien oben drauf. Eine solche Strecke wagt derzeit kein anderer Unterhaltungsstar, weder national noch international. Das große Fischer-Finale steigt am 22. Juli 2018 in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena. Und sollen wir mal den Propheten spielen? Es wird auch dann wieder ausverkauft sein.

Infos:

Konzerte Die Hallentournee von Helene Fischer beginnt am 12. September in Hannover. Am 17., 18., 20., 21. und 22. Oktober ist sie in der SAP-Arena in Mannheim zu erleben, am 30. und 31. Januar sowie vom 2. bis zum 4. Februar in der Schleyerhalle in Stuttgart.

Open Air Am 22. Juli 2018 tritt Helene Fischer zum Abschluss einer Stadien-Tournee in der Mercedes-Benz-Arena in Stuttgart auf. Für alle Konzerte läuft der Vorverkauf, einzelne Termine sind bereits ausverkauft.

TV Am Samstag ist die Sängerin live in der ARD zu erleben: bei der Eurovision-Song-Contest-Party aus Hamburg ab 20.15 Uhr.