Ein neues Gesetzespaket, auf das sich die europäischen Regierungen und das Europaparlament verständigt haben, schränkt ab 2017 unter anderem die Spekulation mit Lebensmitteln ein.

Straßburg - Fast zweieinhalb Jahre nach Vorlage des Gesetzentwurfs und einer neunstündigen Marathonsitzung in der Nacht zum Mittwoch haben sich die EU-Staaten mit dem Europaparlament auf die „Mutter aller Finanzmarktregulierungen“ verständigt. So nennt der dafür zuständige CSU-Abgeordnete Markus Ferber das Gesetzespaket „Mifid“, das die bisher kaum überwachten Märkte für Finanzprodukte neuen Spielregeln unterwirft. „Das Problem der unregulierten Märkte“, sagte Ferber nach den Gesprächen in Straßburg im Hinblick auf das Versprechen des G-20-Gipfels im Jahr 2009, „ist damit gelöst.“ Der zuständige EU-Kommissar Michel Barnier sagte: „Dies ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem sichereren, transparenteren und verantwortungsvolleren Finanzsystem.“ Er setze darauf, dass mit den neuen Regeln das in der Krise verloren gegangene Vertrauen gerade kleiner Anleger wieder hergestellt werden könne.

 

Es gibt keinen unregulierten Bereich des Finanzmarkts mehr

Eines der Kernstücke der Reform, die nach der formalen Verabschiedung in den kommenden Wochen 2017 in Kraft treten wird, ist die Schaffung einer neuen Marktplattform. Bis jetzt nämlich werden – vereinfacht gesagt – Aktien und andere Wertpapiere an Börsen gehandelt, Finanzprodukte wie Termingeschäfte dagegen vor allem direkt zwischen den Finanzhäusern auf deren sogenannten „Trading floors“ vertrieben. So konnten sich ohne Wissen der Aufsichtsbehörden gewaltige Systemrisiken aufbauen, weil das Ausmaß der Geschäfte einfach nicht bekannt war. Nun wird laut Ferber eine Art „Sammelbecken für alle bisher unregulierten Märkte und Handelsplattformen“ entstehen – mit den entsprechenden Informations- und Transparenzpflichten normaler Börsen.

Rohstoffspekulation: Niemand kann mehr ganze Ernten aufkaufen

Rohstoffspekulation wird eingedämmt

Die neuen Regeln führen auch dazu, dass erstmals die Spekulation mit Nahrungsmitteln eingedämmt werden kann. Das An- und Verkaufen zukünftiger Ernten hatte beispielsweise 2008 weltweit zu einem rasanten Preisanstieg bei Reis geführt und die Versorgung der Menschen gerade in Entwicklungsländern gefährdet. Finanzmarktakteuren, die gar keine direkte Verwendung für das gehandelte Produkt nachweisen können, wird es verboten, mehr als eine bestimmte Menge davon zu halten. Im Klartext: Unternehmen, die keinen Weizen verarbeiten, dürfen nicht eine ganze Weizenernte aufkaufen. Aber auch diejenigen Firmen, die einen Rohstoff wirklich benötigen, dürfen sich nicht weit über den eigenen Bedarf hinaus eindecken. Täglich und nicht monatlich, wie zuerst von den EU-Regierungen gefordert, muss es künftig einen europaweiten Überblick darüber geben, ob die strengen Positionslimits eingehalten werden. Nach einer längeren Übergangszeit könnten sie von 2020 an auch für Mineralöl und Gas gelten.

Wie die genauen Höchstgrenzen berechnet werden, soll nun die EU-Aufsichtsbehörde Esma in Paris ausarbeiten, die dafür personell aufgestockt wird. Darin, dass die eigentliche Festlegung aber von nationalen Behörden gemacht wird, sehen der Linke-Europaabgeordnete Jürgen Klute und die Entwicklungsorganisation Oxfam allerdings ein mögliches Schlupfloch. Im Grundsatz jedoch begrüßte auch Oxfam die Neuregelung. „Für Millionen Menschen in armen Ländern, die bis zu 75 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aufwenden müssen, ist das eine gute Nachricht, ebenso für Produzenten, die auf stabile Agrarrohstoffpreise angewiesen sind“, sagte David Hachfeld von Oxfam. Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold sprach von einem „großartigen Sieg für das Bürgerengagement in Europa“.

Der computergesteuerte Hochfrequenzhandel wird entschleunigt

Hochrisiko-Produkte können verboten werden

Deutlich erschwert wird auch der sogenannte Hochfrequenzhandel, bei dem Computer bei geringsten Preisunterschieden und auf Basis mathematischer Algorithmen Tausende von Kauf- und Verkauforders in einer Sekunde tätigen. Zwar wird es die ursprünglich geplante Mindesthaltedauer nicht geben, aber es wurde ein anderes Mittel gefunden, um den Handel zu entschleunigen. Es wird für jedes Papier, wiederum von der Pariser EU-Aufsicht, eine sogenannte „tick size“ festgelegt. Das bedeutet, dass der Computer erst von einem bestimmten Preissprung an und nicht etwa schon bei Verschiebungen bei der zehnten Nachkommastelle überhaupt tätig werden darf. Zudem enthält das Gesetz die Pflicht, Algorithmen vorab prüfen zu lassen. Kommt es dennoch zu einem maschinell bedingten Börsencrash wie in New York 2010, wird laut dem neuen EU-Gesetz automatisch der Handel unterbrochen.

Bessere Beratung bei hochriskanten Produkten

Privatkunden muss künftig von riskanten Produkten abgeraten werden

Für Käufer von Finanzprodukten, in vielen Fällen also auch Privatanleger, bringt das Gesetz ebenfalls eine Reihe entscheidender Verbesserungen. So muss künftig klar definiert werden, für welche Kunden ein Produkt geeignet ist. Der Berater muss zudem ausdrücklich erfragen, wie risikobereit ein Interessent ist. Beispiele wie die „Lehman-Oma“, die nichts ahnend Papiere der pleitegegangenen US-Investmentbank hielt, sollen der Vergangenheit angehören. Zusätzlich besteht nach Inkrafttreten des Gesetzes für Finanzberater die Pflicht, ein Kundengespräch schriftlich zu protokollieren oder telefonisch aufzuzeichnen. Den Kauf eines hochriskanten Finanzprodukts etwa darf ein Berater dann nur noch abwickeln , wenn ein Kunde trotz eines gegenteiligen Ratschlags ausdrücklich darauf beharrt. Des Weiteren muss dem Interessenten vollständig angegeben werden, welche Gebühren und Provisionen einbehalten werden. Ein generelles Provisionsverbot, das in den Niederlanden und Großbritannien bereits existiert, um keine falschen Anreize für Finanzberater zu setzen, wird es allerdings nicht geben. Darüber entscheidet jeder Mitgliedstaat weiter selbst.

Hochgradig gefährliche Finanzprodukte können verboten werden

Die europäische Aufsichtsbehörde Esma in Paris erhält ebenfalls neue Rechte. „Die Einigung sichert auch eine effektive Kooperation“, sagte Kommissar Barnier zur Zusammenarbeit der nationalen mit der europäischen Ebene. Die EU-Behörde kann sie in Zukunft, wenn es die nationalen Kontrolleure nicht tun, gefährliche Finanzprodukte ganz verbieten und vom Markt nehmen. „Wir hoffen“, sagte der parlamentarische Berichterstatter Ferber am Mittwoch, „dass sich das disziplinierend schon auf die Produktentwicklung auswirken wird.“