War er denn auch sonst so, wie Sie ihn sich vorgestellt haben?
Verrückterweise, ja. Ich hatte das Bild von jemandem, der einen sehr geordneten Tagesablauf braucht, um mit all diesem Wahnsinn, der ihm täglich begegnet, umgehen zu können, der sehr gefasst sein muss. Mein Opa war so ein Mensch. Er hat ein wahnsinniges Leben gehabt. Um damit klarzukommen, musste er wahrscheinlich einen sehr geregelten Alltag haben. Er ist jeden Morgen um fünf Uhr aufgestanden und hat seinen Hut gebügelt. Immer zur selben Zeit. Er hat immer zur selben Zeit Kaffee getrunken, zur selben Zeit Mittag gegessen. So etwas hatte ich vor Augen.
Wie hat Herr Schirach auf Ihre Überlegungen reagiert?
Ferdinand hat nur sehr wohlwollend genickt und gemeint: „Ja, das ist durchaus nicht falsch, was Sie da sagen.“ Abgefahrenerweise übrigens auch, was die Klamotten betrifft. Ich weiß es noch genau: Ich kam zur ersten Kostümprobe, und da hingen nur schwarze Anzüge. Da habe ich gesagt: Nee, der trägt keinen schwarzen Anzug. Mehr so Tweed, mal eine Cordhose, Armpatches, Leinensakkos. Stilvoll, aber nie uniformiert. Schuhe, die nicht zur Hose passen. Die Hose nicht passend zum Sakko. Ja, und dann saß er vor mir. Und er sah wirklich genau so aus, wie ich ihn mir vorgestellt habe.
Hat sich durch die Arbeit an der Serie Ihr Blick auf unser Rechtssystem verändert?
Es hat meinen Blick verfeinert. Ich weiß jetzt viel mehr darüber, wie Strafrecht funktioniert. Mir haben die Gespräche mit Ferdinand wahnsinnig viel Spaß gemacht. Ich habe auch lange und oft daran zurückgedacht. Sie haben mir einen neuen Blickwinkel eröffnet. Das ist wie mit dem rotierenden Apfel, der in der Serie immer wieder auftaucht: Man muss ihn von allen Seiten betrachten. Der Rechtsstaat funktioniert nach Regeln, nicht nach Moral. Und es muss immer um die Frage nach der individuellen Schuld gehen. Man kommt nicht umhin, die Dinge genau zu betrachten. Wenn wir das nicht tun, landen wir in einem totalitären System.