Die Therapeutin Nuria wird durch eine traumatisierte Ballettschülerin mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert – und mit einigen Leichen. Darum geht’s in Uta-Maria Heims neuem Stuttgart-Fall „Tanz oder stirb“.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Sie gehört zur ersten Garde des Regionalkrimis. Uta-Maria Heim veröffentlichte Stuttgart-Krimis, lange bevor der Boom in jedem Kiez eine Mord-vor-Ort-Reihe sprießen ließ. Gleich in ihrem Debüt „Das Rattenprinzip“ zeigte die im Schwarzwald geborene Autorin ihre damalige Wahlheimat Stuttgart 1991 als widersprüchlichen Ort, auf den die Globalisierung ihre Schatten vorauswarf und wo Werte auf der Strecke blieben. Dafür gab’s den deutschen Krimi-Preis.

 

Nun hat Uta-Maria Heim nach einem mehrteiligen Ausflug in die Toskana ihren ermittelnden Blick wieder einmal aufs Ländle gerichtet. Dessen Metropole sei am Abstieg, nur Mieten, Inflation, Therapeuten und das Ballett hätten Hochkonjunktur, heißt’s im Prolog von „Tanz oder stirb“, Heims aktuellem Stuttgart-Fall. Das Cover ziert eine Nachtaufnahme des Opernhauses. Auch Heims Protagonistin, die ohne Eltern aufgewachsene Traumatherapeutin Nuria Haas, tappt im Dunkeln, was ihre Vergangenheit betrifft. Nur ein Namensband erinnert an die Zeit, bevor sie als Baby ausgesetzt wurde.

Uta-Maria Heim bei einer Lesung 2016 Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Traumatisierte Ballettschülerinnen

Durch das Auftauchen der Ballettschülerin Selina Seidel in ihrer Praxis wird die Therapeutin mit den blinden Flecken der eigenen Vergangenheit konfrontiert. Machtmissbrauch, körperliche und psychische Gewalt: Selinas Vorwürfe erinnern an die Vorfälle aus prominenten Ballettschulen, die Schlagzeilen machten. Nuria führen sie auf die Spur einer eigenen Tanzschülerinnenkarriere.

Die war kurz, aber so traumatisierend, dass sie sich an nichts erinnert. Wie steht sie mit den Toten, die der Roman anhäuft, in Verbindung? Hat sie selbst gemordet? Am Ende hat die Waise, deren Name nicht von ungefähr an Nurejew erinnert, mehr Eltern zur Auswahl, als guttut – auch wenn nicht alle den Schlusspunkt erleben.

Die Ex-Primaballerina Olga ist das erste Opfer in „Tanz oder stirb“. „Olga war ganz dick drin in der Stasi“, klärt eine Zeugin Nuria auf. Im Tausch gegen Waffen schob sie Honecker bei seiner Ernennung zum Generalsekretär ab. Sie machte in Stuttgart Karriere; nun liegt sie erschlagen in ihrer renommierten Nurejew-Ballettschule.

Flucht aus der DDR

Tatsächlich nutzten 1971 einige Tänzer aus Ost-Berlin ein Gastspiel in Helsinki zur Flucht. Einer davon kam als Ballettmeister nach Stuttgart, blieb aber nicht lange. Sein russisch geprägter Stil passte nicht zu Crankos Kompanie – im Gegensatz zu Heims fiktiver Olga. Der mögliche Tatbestand des Missbrauchs Schutzbefohlener macht es nötig, auch die Tatorte fiktiv zu halten wie das private Ballettinstitut oder eine leer stehende Villa am Max-Eyth-See, einst ein Heim, unter dessen Dach Kinderleichen gefunden wurden.

Cover (Detail) Foto: Verlag/Radu

Uta-Maria Heim strickt so viele Fäden zusammen, dass es schwerfällt, bei der Lektüre keine Masche zu verlieren. Autismus, Pädophilie, kriminalisierte Homosexuelle in den 1970er Jahren, RAF-Terrorismus, NS-Terror: Verdachtsmomente gibt’s zu viele, um sie zu vertiefen. Der Blick auf den Tanz und seine Stuttgarter Protagonisten fällt in lexikonartigen Passagen eher pflichtbewusst aus.

Leichtigkeit, wo man sie nicht erwartet

Dennoch beschert dieser Stuttgart-Krimi viel Lesevergnügen dank einer wohltuend verwirrten Ermittlerin. Gespensterhaften Erscheinungen von Patti Smith und Hannah Arendt, Ausflüge in den Hochschwarzwald, nach Worpswede und an den französischen Atlantik geben ihm tänzerische Leichtigkeit, wo man sie nicht erwartet.

Uta-Maria Heim: „Tanz oder stirb“. Gmeiner-Verlag, 14 Euro.

Info

Buch
Uta-Maria Heim: „Tanz oder stirb“. Gmeiner-Verlag. 219 Seiten. 14 Euro