Gut nachvollziehbar also, wie sehr ein solcher emotionaler Grenzgang erst die Musiker auf der Bühne forderte. „Mir war klar, dass wir einen Fehler nicht machen dürfen: in einen Betroffenheitsmodus zu verfallen“, meint Campino. „Der Weg musste anders laufen: die Schönheit, die Kraft der Musik musste betont werden“. Und Breiti ergänzt: „Die Leute sollten mit dem Gefühl nach Hause gehen, auch Freude und Spaß gehabt zu haben“.

 

So poltern die Hosen im Stil eines Tom Waits durch den „Alabama Song“ aus Brechts „Dreigroschenoper“ oder rocken dynamisch in „Stimmen aus dem Massengrab“ nach einem Gedicht von Erich Kästner. Als Ankerpunkt der drei Abende kristallisierte sich freilich das wohl anspruchsvollste Werk des Sets heraus: Schönbergs Zwölfton-Drama „Ein Überlebender aus Warschau“, das sich dank Campinos verbalem Furor und der subtil-dramatischen Klangsprache des Orchesters wie eine Faust um die Seele des Hörers schließt.

Der direkte Dialog mit Angela Merkel muss nicht sein

Gänsehaut pur – und alles andere als leichter Stoff. „Zugegeben: Dieses Album ist nichts, was man nebenher hören kann. Darauf muss man sich einlassen wollen“, meint Breiti, „aber wir wollen das auch den Leuten, die nicht bei den Konzerten sein konnten, zugänglich machen“. Nicht zuletzt als politisches Statement. Mehr als zwanzig Jahre alt sind Hosen-Songs wie „Sascha“ oder „Willkommen in Deutschland“ mittlerweile, aber in einem Land, in dem Flüchtlingsunterkünfte abgebrannt und Opfer von Krieg und Vertreibung mit Steinen beworfen werden, von ungebrochener Relevanz. „Es gibt Orte in Deutschland, wo Neonazis das Gewaltmonopol des Staates für sich beanspruchen. Dagegen muss man Zeichen setzen. Wir tun das mit unseren Möglichkeiten“. Ob dazu auch einmal der direkte Dialog mit der Politik gehören könnte? Ein Gespräch mit der Kanzlerin etwa? „Das gehört nicht zu unseren Hausaufgaben“, erwidert Breiti. „Aber wenn jemand aus der Politik uns zu einem nichtöffentlichen Gespräch einladen würde, würden wir uns dem nicht verweigern“.