Madonna legt ihr neues Album „Rebel Heart“ vor. Der amerikanische Megastar schwelgt dabei M in der Vergangenheit, begrüßt illustre Gäste wie Mike Tyson und leistet sich auch sonst noch musikalische Experimente.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Drei Monate ist es her, dass Madonna richtig erregt war. Im Dezember tauchten im Internet plötzlich dreizehn Songs auf, die sich vermeintlich auf ihrem nächsten Album befinden sollten. Die Sängerin reagierte auf den Leak konventionell, indem sie wutschnaubend – berechtigt – von „künstlerischer Vergewaltigung“ sprach und – erwartbar – erklärte, bei den Liedern würde es sich eh nur um halbfertige Rohversionen handeln, die selbstverständlich so keinesfalls auf dem Album zu finden sein würden. Zusätzlich reagierte sie neuzeitlich, indem sie umgehend sechs dieser Stücke – nun natürlich in ihrer „Endform“ – auf mehreren Plattformen käuflich zum Download anbot.

 

Aber jetzt schlägt’s wirklich dreizehn. Nachdem der amerikanische Superstar vor fast genau drei Jahren mit „MDNA“ das Dutzend an Studioalben vollmachte, erscheint an diesem Freitag der nächste Longplayer, „Rebel Heart“. Wie lange er spielt, liegt – abermals ganz neuzeitlich – in den Händen des Käufers. Das Album ist erhältlich als Standardversion mit 14 Stücken, als De-luxe- und Vinylvariante mit 19 Nummern und als (hui!) „Super-De-luxe“-Ausgabe mit (so die Plattenfirma) „vier weiteren Exklusivsongs und zwei Remixes“. Und, um der Königin des Pop besonders huldvoll die Krone aufzusetzen, obendrein mit der Möglichkeit, sich unter www.rebelheartyourself.com ein eigenes digitales Albumcover zu pinseln.

Zum Glück sind wir Spaßvögel und nicht Spaßbremsen, weswegen hier keinesfalls die Frage aufgeworfen werden soll, was ein Künstler als in sich (ab)geschlossenes und in der Summe schlüssiges Opus begreift; bei welcher Zahl an Liedern er denkt, dass ein Album als Gesamtkunstwerk zu begreifen ist; an welchem Zeitpunkt er zum Ratschluss kommt, dass er wirklich nur die publikationsreifen Stücke ins Töpfchen verfrachtet, den Rest aber ins Kröpfchen versenkt. Ach, tausend weitere Fragen nach der künstlerischen Integrität könnten einem hier in den Sinn kommen, aber lassen wir das . . .

Die letzten drei Songs sind die besten

Dennoch stellt sich natürlich die Frage, was Gegenstand der Betrachtung sein soll, zumal (Obacht, jetzt wird’s besonders für Schwaben und Schotten interessant) etwa dreizehn Euro Preisunterschied zwischen der billigsten und der teuersten Variante des Albums liegen, die im Handel für saftige knapp dreißig Euro vorbestellbar ist: Reden wir über 14, 19 oder 25 Songs auf dem neuen Madonna-Album?

Reden wir also zunächst von 14 Stücken, was umgehend den Vorteil bietet, kess behaupten zu können, dass die drei letzten Songs des Albums auch seine besten sind. „Holy Water“ heißt der erste von ihnen, mit dem Madonna – beiläufig sei’s angemerkt – den Beweis erbringt, dass der warnende „Parental Advisory: explicit Lyrics“-Aufkleber redlich verdient auf dem CD-Cover prangen darf, denn hier wird das Wort „Bitch“ häufiger verwendet als in der kompletten Berufslaufbahn eines Neuköllner Gossenrappers. Der federnde Song selbst ist aber sehr gut, wie auch die darauf folgende sanfte Nummer „Inside out“, die fast schon wie eine Reminiszenz an ihr frühes Meisterwerk „True Blue“ wirkt, das mit sagenhaften 33 Millionen verkauften Exemplaren zum Megaseller wurde unter den noch sagenhafteren 350 Millionen Alben, die die frühere Klosterschülerin, Kellnerin und Donutverkäuferin im Verlauf ihrer märchenhaften Karriere abgesetzt hat. „Wash all over me“, einen epischen popmusikalischen Wurf, serviert die Popqueen zum krönenden Finale, mit dem sie sich endgültig vom Verdacht reinwäscht, sich von ihren fleißigen Helferlein aus dem Tonstudio nur ein weiteres x-beliebiges Musikkostüm auf den Leib geschneidert gelassen zu haben.

Deren Riege besteht natürlich erwartungsgemäß aus der Crème de la Crème der Musikbranche nebst einem verblüffenden Gast. Der Chefproduzent ist Diplo (Beyoncé, Usher, Snoop Dogg), freundlich assistiert von Avicii, Kanye West und – jetzt die Überraschung – dem Münchner Tobias Gad, der bei Frank Farian (Boney M) sein Handwerk lernte. Ebenso illuster sind die Gäste auf diesem Album, unter anderen dabei ist, wie schon auf dem letzten Album, die Sängerin Nicki Minaj aus Trinidad und Tobago.

Das Duett mit Minaj ist allerdings das blasseste Stück des Albums: „Bitch, I’m Madonna“ streift hart die Grenze zur Infantilität, wäre da nicht abermals der auffallend ruppige Slang. Richtig kurios wird es indes im Stück „Iconic“. Hier hat – kein Scherz – Mike Tyson einen Gastauftritt, als Boxer seinerzeit gewiss auch eine Ikone, andererseits aber auch ein wegen Vergewaltigung vorbestrafter konvertierter Muslim, der jüngst im Fachblatt „Rolling Stone“ daherfaselte, er habe sich bei der Zusammenarbeit mit Madonna von Mussolini inspirieren lassen. Und von dem man besser auch nicht wissen möchte, wie wohl seine Haltung zu Madonnas Werben für die Akzeptanz homosexueller Paare sein mag.

Der Engel fällt nicht

Sie selber ist und bleibt selbstverständlich auch eine Ikone, die sich musikalische Experimente stets leisten konnte (schlag nach bei, ganz früher, „La Isla Bonita“ oder, vor einem Dutzend Jahren, bei den Akustikgitarren auf dem Album „American Life“) und auch auf dem aktuellen Werk wieder leistet. Und eben darin liegt hier der besondere Reiz: an den Ausflügen zu Deep House und Dubstep, dem mit Reggaebeats flirtenden „Unapologetic Bitch“ oder dem vocodergeschwängerten „Illuminati“, Nummern, die allesamt eine individuelle Note haben und sich doch zu einem homogenen, von Balladen durchwirkten Ganzen fügen. „Rebel Heart“ ist ein Popmusikalbum der alten Schule, das weitaus differenzierter ist als sein Vorgänger „MDNA“, das ein reinrassiges Dancebeatalbum war.

Ein Riesenwurf ist „Rebel Heart“ dennoch nicht geworden. Den kommenden Hit – der letzte ist übrigens mit „Hung up“ auf „Confessions on a Dance Floor“ schon zehn Jahre her – sucht man vergebens, übrigens auch auf der erweiterten De-luxe-Variante, die noch ein Gastspiel des Rappers Nas, ansonsten jedoch nicht überbordend viel Mehrwert bietet.

Doch der Engel mag stolpern, aber er fällt nicht. Dass die anstehende Tournee, die sie für zwei Auftritte im November auch nach Deutschland führt, in Minutenschnelle ausverkauft sein wird, steht ohnehin außer Frage. Denn Madonna Louise Veronica Ciccone ist nicht nur eine (obwohl sie doch Geld wie Heu haben müsste) gnadenlose Selbstverkäuferin, sondern auch eine begnadete Performerin, die auf eine nach wie vor sehr beachtliche Lebensleistung zurückblicken darf.