Elmore Leonard ist tot. Wir werden nie mehr ein neues Buch von ihm in den Händen halten. Doch zum Glück gibt der Altbuchstapel noch einiges her: „Out of Sight“ zum Beispiel: ein Vergleich zwischen Buch und Film.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Kann man sich von einem Film wie, sagen wir mal, „Out oft Sight“ lösen, wenn man erst anschließend das zugrunde liegende Buch liest? Eigentlich kann man es nicht. Der Tonfall, die Atmosphäre, die Musik – das alles ist doch auch nach Jahren noch sehr präsent. Und wie soll die eigene Fantasie gegen ein Aufgebot von Schauspielern ankommen, das bis in die Nebenrollen hinein mit viel Liebe zusammengestellt worden ist: George Clooney, Jennifer Lopez, Ving Rhames, Don Cheadle, Catherine Keener, Luis Guzmán …? Vielleicht klappt das aber doch, wenn das Buch so gut ist, dass es ganz eigenständig neben dem Film bestehen kann. „Out of Sight“ von Elmore Leonard, R.I.P., ist so ein Roman. Und darin ist Jack Foley, der Held, auf dem Kopf nicht Salt & Pepper wie Clooney, sondern braunhaarig, da ist die Heldin blond – und da ist Buddy nicht schwarz wie Ving Rhames, sondern weiß wie ein Redneck.

 

Time out für eine Nacht

Ansonsten ist in groben Zügen alles wie im Film: der Gentleman-Bankräuber Foley türmt aus dem Knast. Er nimmt U.S. Marshall Karen Sisco als Geisel, flirtet mit ihr im Kofferraum des Fluchtwagens und zieht, als ihr ihrerseits die Flucht gelingt, seiner Wege. Doch zwischen den beiden hat es gefunkt, sie nehmen sich gegenseitig ins Visier (engl. Sight), in einem Detroiter Hotel gelingt ihnen eine Nacht lang ein Time-Out.

Doch die Jagd geht weiter. Und spätestens als Foley mit ein paar durchgeknallten Gewaltverbrechern um „Snoop“ Miller bei einem millionenschweren früheren Knastbruder einsteigt, kommt es zum Showdown.

Tödlicher Stolperer

Alles in allem ist „Out of Sight – das Buch“ etwas schärfer, härter gezeichnet als der Film. Hier wie da gibt es Gewalttätiges neben Komödiantischem, Witziges neben Bitterem. Doch der Film mit seiner im Vergleich zum Buch ausgeschmückten Handlung kommt leichter daher – was sich ganz gut am Ende zeigt: lässt der Regisseur Steven Soderbergh „Snoops“ Handlanger White Boy bei einem grotesk komischen Stolperer mit der Pistole draufgehen, so stirbt bei Leonard ausgerechnet der treue Buddy. Und einen Samuel L. Jackson, mit dem Clooney am Ende den Gefangenentransporter teilt, gibt es schon gar nicht.

Titeln wir doch einfältig

Statt dessen gibt es eine Karen Sisco, die ihrem Vater auf der letzten Seite einen Reim aufsagt: „Du kennst doch den alten Spruch: Kannst Du den Knast nicht ertragen, darfst Du das Ding nicht wagen.“ Darauf der stolze Papa: „Mein kleines Mädchen, der Satansbraten.“

Ruhen Sie wohl, Mr. Leonard!

PS.: Es ist in den Nachrufen auf Elmore Leonard hier und da beklagt worden, dass seine Romane von Hollywood verhunzt worden seien. „Out of Sight“ sollte nicht in diese Kategorie gehören. Und hoffentlich hat der Meister nie erfahren, unter welch einfältigem Titel dieses Buch 1998 erstmals auf Deutsch erschien: „Zuckerschnute“. Dies als Memento an alle Übersetzer, Lektoren und Redakteure, die meinen, sie müssten . . .

Elmore Leonard: „Out of Sight“. Suhrkamp, Berlin. Taschenbuch, 254 Seiten, 8,99 Euro.