Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Die Nachricht vom Unfalltod platzte mitten in die Aufnahmen von „Skeleton Tree“ herein, dem 16. Album der Bad Seeds. Die Band habe, heißt es, daraufhin vieles an den bereits eingespielten und noch aufzunehmenden Songs überarbeitet. Wie das Album unter anderen Umständen geklungen hätte, ist daher Spekulation; ob es angesichts der Entstehung in eine wertende Relation zum gesamten Cave’schen Werk gesetzt werden darf oder sich dies verbietet und ob der Höreindruck ohne den Film womöglich ein ganz anderer wäre, ist eine ebenso interessante wie diesen Rahmen leider sprengende Frage. Auffällig jedenfalls ist die kammermusikalische Instrumentierung, die sich auch im Klang ausdrückt. Auf E-Gitarren wird komplett verzichtet (bemerkenswert, denn die Trauer hätte sich auch in Birthday-Party-artigen wütenden Rockriffs entladen können), Bass und Schlagzeug liefern ein kaum vernehmbares Fundament, das Gros zu dieser pechschwarzen Elegie steuern Caves kongenialer Partner, der Multiinstrumentalist Warren Ellis zumeist an Streichinstrumenten und elektrischen Tasteninstrumenten, und Cave selbst am Piano bei.

 

Was die Texte betrifft, war der düstere Moritatensänger Cave auch zuvor nicht gerade als Stimmungskanone bekannt. Auf „Skeleton Tree“ liefert er jedoch eine sinistere Zerrissenheit ab, die selbst in seinem Œuvre seinesgleichen sucht. Im Eröffnungsstück „Jesus Alone“, geschrieben lange vor dem Tod seines Sohnes, deklamiert er fast schon prophetisch über einem wabernden Sound dräuendes Unglück, Klagegesang reiht sich fortan an Verweiflungsflehen, in Stücken wie „I Need You“ wird deutlich, was Cave im Film mit einer wunderbaren Metapher umriss: Der Versuch, Abstand zu gewinnen, gestalte sich wie an ein Gummiband geheftet; je weiter man sich zu entfernen versuche, desto heftiger gerate der Rückschlag. Einer Katharsis gleich nähern sich Cave und die Bad Seeds schließlich in „Distant Sky“, dem siebten von acht Stücken, mit der dänischen Sopranistin Else Torp als Gastvokalistin dem Erlösungsgedanken, der Suche nach Vergebung oder zumindest der Erkenntnis, die Nick Cave für sich selbst doch so sehr besiegeln möchte: dass die Liebe stärker als der Tod sein möge.

„I’m walking through deep water/Nearer to the sea/I’m asking the deep water/Don’t take my love from me.“
Marianne Faithfull - „Deep Water“

Die See war unerbittlich an jenem 14. Juli des vergangenen Jahres, ihr Locken zu verführerisch für den 15-jährigen Arthur Cave, der an jenem unheilvollen Tag rauschumnebelt bei seinem allerersten Experiment mit LSD überhaupt die Kalksteinklippen am Ovingdean Gap hinabstürzte und sechzig Fuß tiefer nur noch leblos an der Uferpromenade geborgen werden konnte. Fünf Meilen entfernt vom Haus der Familie im südbritischen Seebad Brighton, wo Nick Cave endlich heimisch geworden ist und mit seiner Frau ihre Zwillingssöhne aufwachsen sehen wollte. Am Ende des Films wird eine irgendwann entstandene Aufnahme eingespielt, auf der Earl und Arthur Cave das Lied von Marianne Faithfull eher krähen denn singen, einem Epilog gleich. „I called out right across the Sea/ That nothing is for free“ singt der große Schmerzensmann Nick Cave in seinem Epilog, dem hymnischen, dem Album seinen Namen gebenden Abschlusslied „Skeleton Tree“. Ein letztes Blatt weht vom skelettierten Baum der Erkenntnis, ein denkwürdiges Album bleibt.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.aeltere-menschen-und-die-popmusik-voll-krass-alter.7a8dc9a8-0367-4a47-b4d2-7a05c8ac5e1c.html