In den Niederlanden gilt von Juli an ein Rechtsanspruch auf das Arbeiten von zu Hause aus. In Deutschland dagegen bleiben Arbeitgeber und Arbeitnehmer skeptisch.

Stuttgart - Ab Juli können die Niederländer gegenüber ihrem Arbeitgeber ein Recht auf Home Office, also das Arbeiten von zu Hause aus, geltend machen. Das Gesetz gilt für Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten – wenn die Arbeit sich von zu Hause aus erledigen lässt und keine zwingenden betrieblichen Gründe dagegensprechen. Schon jetzt gelten die Niederlande als Vorreiter: 2012 lag der Anteil der Erwerbstätigen, die von zu Hause aus arbeiten, bei 32 Prozent, ergab eine Studie des niederländischen Ministeriums für Infrastruktur und Umwelt.

 

In Deutschland ist das Home Office weniger verbreitet: Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts arbeiteten nur elf Prozent der deutschen Erwerbstätigen manchmal oder hauptsächlich von zu Hause aus, davon waren acht Prozent abhängig Beschäftigte. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt, dass die Zahl der deutschen Telearbeiter seit 2008 deutlich zurückgegangen ist. Inzwischen stagniert deren Zahl. Eine überraschende Entwicklung angesichts der Digitalisierung und des Fachkräftemangels, der Arbeitnehmern häufig eine bessere Verhandlungsbasis gegenüber dem Arbeitgeber verschafft. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland im unteren Mittelfeld: An der Spitze bewegen sich die Niederlande, Dänemark, Schweden, Großbritannien und Frankreich – und die Zahlen steigen im EU-Schnitt.

Die Vorteile der Telearbeit

Die Telearbeit hat viele Vorteile: Kein Zeitverlust durch die Fahrt zum Arbeitsplatz, höhere Flexibilität für Mütter, Väter und Beschäftigte, die Angehörige pflegen. Der Arbeitgeber spart Bürokosten, und Verkehrspolitiker hoffen auf eine Entlastung der Straßen zur Rushhour.

Dass die Telearbeit in Deutschland trotzdem nicht populärer ist, führt Karl Brenke vom DIW auf mehrere Gründe zurück: So zeichne sich die deutsche Wirtschaft durch einen höheren Industrieanteil aus als die Niederlande und viele skandinavische Länder. Brenke vermutet aber auch einen starken kulturellen Einfluss: „Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber in Deutschland setzen häufig Arbeit mit Anwesenheit gleich.“ In den Niederlanden herrsche eine andere Arbeitskultur. „Das zeigt sich an dem hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigten und der generell höheren Familienfreundlichkeit der niederländischen Unternehmen“, sagt Brenke.

Bosch musste Mitarbeiter überzeugen

Auch bei Bosch machte man die Erfahrung, dass Chefs und Mitarbeiter erst vom Home Office überzeugt werden mussten: „Wir haben festgestellt, dass viele sich nicht trauen, das Angebot wahrzunehmen“, sagt ein Sprecher des Technologiekonzerns, der den Mitarbeitern seit Jahren Telearbeit bietet. Zu groß sei wohl die Angst, vom Karriereradar des Chefs zu verschwinden, während man in den eigenen vier Wänden arbeite. Deshalb ließ man bei dem Konzern, der weltweit 290 000 Mitarbeiter beschäftigt, gezielt Manager flexible Arbeitsmodelle testen. „Wenn die Mitarbeiter sehen, dass der Chef einen Tag in der Woche von zu Hause aus arbeitet, trauen sie sich das auch.“

Die Flexibilität der Angestellten macht sich für das Unternehmen bezahlt: Während Bahn- und Kitastreik seien Bosch-Mitarbeiter auf das Home Office umgestiegen. Angst, Kontrolle über die Mitarbeiter zu verlieren, habe man nicht: „Es ist ein Trugschluss zu denken: Wer viel im Büro sitzt, leistet viel. Es geht darum sich auf die Ergebnisse zu konzentrieren“, sagt der Sprecher. Die Zurückhaltung gegenüber dem Home Office kann man sich bei Bosch schwer erklären: „Diese Bindung an das Büro scheint etwas mit unserer preußisch-deutschen Sozialisierung zu tun zu haben.“

Chance für EBM Papst

Auch bei EBM Papst sieht man das Home Office als Chance: „Wir machen die Erfahrung, dass junge Mitarbeiter immer öfter flexible Arbeitszeiten und Heimarbeit einfordern“, sagt Personalleiter Ralf Sturm. Der Hersteller von Elektromotoren und Ventilatoren mit weltweit 11 700 Mitarbeitern ist darauf angewiesen, Fachkräfte nach Mulfingen zu locken. „Wir haben gemerkt, dass wir in diesem Bereich unbedingt Angebote machen müssen, um gute Leute anzuziehen“, sagt Sturm. Derzeit erarbeite man Richtlinien für das Home Office.

Geht es nach den deutschen Arbeitgebervertretern, soll es aber keinen gesetzlichen Anspruch auf die Arbeit von zu Hause aus geben. Als „praxisfern und kontraproduktiv“ bezeichnet die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände einen möglichen Rechtsanspruch wie in den Niederlanden. In vielen Betrieben würden bereits flexible Arbeitszeitmodelle und Telearbeit angeboten.

Auch viele Arbeitnehmervertreter zeigen sich skeptisch. „Selbstverständlich kann Telearbeit im Sinne der Arbeitnehmer sein, wenn diese das wünschen und damit besser Beruf und Privatleben in Einklang bringen können“, sagt Marta Böning, Referatsleiterin für Individualarbeitsrecht beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Gleichzeitig fürchte man aber die zunehmende Entgrenzung der Arbeit: „Das Home Office birgt das Risiko, dass der Feierabend immer weiter verschwimmt und keine klaren Entspannungsphasen mehr eingelegt werden.“