Kultur: Stefan Kister (kir)
Lyrik gilt als hermetisch. Kleine Auflagen, dafür hoher literarischer Wert. Der Bereich, aus dem Sie kommen, Slam Poetry, füllt zwar die Hallen, fristet innerhalb der Lyrik aber eher ein Schmuddelkind-Dasein.
In Deutschland ist das so. Hier nehmen sich vor allem Soziologen dieser Gattung an, die Germanistik wartet erst einmal ab, bis die ersten Slammer sterben. Mich hat das nie gestört, ich wollte sehen, welche Texte funktionieren, ob man für diese Art von Bühne eine eigene Schreibweise braucht. Ich war sechs Jahre in der Slam-Szene beheimatet. Allerdings lässt sich das auf Dauer auch wirtschaftlich kaum durchhalten, man ist ständig auf Achse. Was die Kollegen leisten, kann man nur machen, wenn man sehr jung oder sehr arbeitslos ist. Ich war sehr dankbar, dass man mir immer häufiger komplette Abende angeboten hat.
Zu den Grenzüberschreitungen Ihrer Texte gehören auch die hin zu den anderen Künsten: Sie lesen zusammen mit einem Schlagzeuger, in Ihren Büchern kommunizieren Wörter häufig mit Grafiken.
So bin ich aufgewachsen. Mein Vater, Eugen Gomringer, ist ein Schriftsteller, der in der konstruktiven Kunst noch bekannter ist als in der Literatur. Während er in der Literatur als Erfinder der Konkreten Poesie den Status einer historischen Figur genießt, ist er in der Bildenden Kunst im Jetzt noch sehr präsent.
Ist es nicht auch eine Bürde, einen solchen Vater zu haben?
Nein. Wir lassen uns so stehen, wie wir sind. Ich mag, was mein Vater macht, er schätzt nicht alle, aber viele meiner Arbeiten. Aber wir müssen uns das nicht ständig sagen. Wenn ich nur die Hälfte der Gene meines Vaters geerbt hätte, wäre ich schon zufrieden.
Mit Blick auf Ihre slam-poetischen Wurzeln haben Sie einen erschreckend soliden Berufsboden unter den Füßen. Sie leiten in Bamberg die Villa Concordia, eine Art bayerische Villa Massimo. Wie geht das mit Ihrem Schreiben zusammen?
Der Freistaat wollte einen renommierten Künstler auf dieser Position haben. Ich habe es als eine große Auszeichnung empfunden, als man mich vor fünf Jahren – ich war damals gerade dreißig Jahre alt – gefragt hat, ob ich dieses Unternehmen des Freistaats Bayern leiten möchte. Der eine Job reagiert auf den anderen mit Verdrängung. Im Glas sind Wasser und Öl, das mischt sich nicht so leicht. Auf der anderen Seite zieht sich beides aber auch an. Das ergibt eine schöne Emulsion.
Vermutlich sind Sie die einzige Direktorin, die jemals in Klagenfurt gelesen hat.
Meine größte Feuerprobe in diesem Jahr war am 17. Januar, als ich für die Stadt Bamberg die Rede zum Neujahrsempfang gehalten habe. Da hatte ich Muffensausen. Hätte ich mich da blamiert, als Direktorin der Villa Concordia, hätte das ein schlechtes Licht auf mein Haus geworfen. Dagegen war Klagenfurt nichts.
Zurzeit gewinnen Lyriker die wichtigsten Preise in Deutschland, ist das ein Emanzipationsprozess?
Wir Lyriker sehen uns ja nicht in einer Nische, klein und bescheiden. Dazu sind wir selbst viel zu arrogant. Wir schätzen das, was wir tun, sehr hoch ein. Aber vielleicht hat sich der ganze Betrieb über Jahre blind verhalten. Wir sind doch alle Schriftsteller. Wer sich über viele Jahre mit Lyrik beschäftigt hat, kann natürlich auch Prosa schreiben. Ich habe in Klagenfurt immerhin den Preis im Namen einer Frau erhalten, die für ihre Lyrik so bekannt ist wie für ihre Prosa.