Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)
Vor vier Jahren haben der damalige Bundespräsident Gauck, der damalige Außenminister Steinmeier und die geschäftsführende Verteidigungsministerin angekündigt, Deutschland übernehme auch militärisch mehr Verantwortung in der Welt. Rechnen Sie mit Kritik, weil keine Taten folgten?
Das wird nicht durch die Blume, sondern sehr offen passieren. Unsere Partner werden fair sein und anerkennen, dass einiges geschehen ist – aber eben bei weitem nicht genug.
Der Koalitionsvertrag liefert kaum mehr als ein Lippenbekenntnis zur militärischen Verantwortung der Bundesrepublik.
Die SPD sieht alles Militärische neuerdings als suspekt, kontrollbedürftig und generell den falschen Weg an. Das spiegelt sich sprachlich im Koalitionsvertrag. Dennoch haben wir in der Sache eine klare Beschreibung der Sicherheitslage und der Konsequenzen erreicht: Wir brauchen europäische Handlungsfähigkeit und bekennen uns klar zur Nato. Es gibt allerdings ein Defizit: Alles hängt am Geld. Zwar sind in der Finanzplanung Erhöhungen im Verteidigungsetat vorgesehen. Dass aber von den unterstellten 46 Milliarden Euro staatlicher Mehreinnahmen in vier Jahren nur zwei Milliarden Euro in internationale Verantwortung fließen, ist so gut wie Nichts. Das reicht bei weitem nicht, um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr wiederherzustellen, die Nato-Verpflichtungen und die vereinbarten Ziele in der Entwicklungszusammenarbeit zu erfüllen. Ohne das nötige Geld sind das alles leere Worte. Da klafft eine Glaubwürdigkeitslücke, die weltweit sehr genau wahrgenommen wird.
Können Sie die Bundeswehr in ihrem heruntergewirtschafteten Zustand noch guten Gewissens in Einsätze schicken?
Nach meiner Kenntnis werden die laufenden Einsätze auf gutem Niveau erfüllt. Aber das war es jetzt auch, mehr geht nicht.
Welche Krise auf der Welt macht Ihnen am meisten Sorgen?
Die neue Gleichzeitigkeit der Spannungsfelder lässt eine solche Hierarchisierung nicht zu. Die Lage kann in der Ostukraine, in Syrien, im Irak oder Nordkorea jederzeit eskalieren. Für uns Europäer ist entscheidend der Nahe Osten. Erstens hat uns die Flüchtlingskrise gezeigt, dass das unsere Nachbarschaft ist und dass deren Probleme nicht dort bleiben, sondern zu uns kommen. Zweitens erleidet Washington nach Jahrzehnten mit schweren Fehlern einen erheblichen Bedeutungsverlust in der Region. Drittens verfolgen die USA unter Donald Trump nicht europäische Interessen, sondern einen grundlegend anderen Ansatz. Deshalb muss der Nahe Osten das wichtigste Feld einer neuen EU-Außenpolitik werden.
Wie könnte eine europäische Nahost-Initiative mit deutscher Beteiligung aussehen?
Als erstes müssten einige EU-Staaten der Welt erklären, dass sie diese Region als entscheidend für unser europäisches Schicksal ansehen und deshalb aktiv werden wollen. Dann sollten diese Länder sich darauf verständigen, eine diplomatische Offensive im Irak zu beginnen, weil dort bald Wahlen sind. Es wäre ein guter Anfang, wenn wir in Bagdad auf eine friedliche Koexistenz der verschiedenen Volksgruppen dringen. Außerdem sollte Europa direkt mit Russland über die politischen Möglichkeiten in Syrien sprechen. Putin hat in meinen Augen kein Interesse, permanent an der Seite von Assad und Iran Krieg zu führen. Wir haben ein schwieriges, aber immerhin belastbares Verhältnis zum Iran. Europa sollte deshalb thematisieren, wie das Nuklearabkommen gesichert werden kann – auch gegen Risiken, die aus der Politik Washingtons entstehen.