Der Münchner NSU-Prozess läuft seit 135 Verhandlungstagen. Vieles spricht dafür, dass Beate Zschäpe wegen Mittäterschaft, nicht wegen Beihilfe verurteilt wird.

Stuttgart - Beate Zschäpe ist eine starke und durchsetzungsfähige Frau. Sie war Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ebenbürtig, kein Heimchen am Herd. Die drei waren im Alltag „ganz innige Freunde“, die keine Geheimnisse voreinander hatten. So beschreiben viele Zeugen seit Monaten im Münchner Terroristen-Prozess die drei NSU-Mitglieder. 135 Tage lang hat das Münchner Oberlandesgericht bereits verhandelt. Nun ist erst einmal wieder Sommerpause, bis zum 4. September.

 

Die schwersten Verbrechen des NSU, die zehn Morde und der erste Bombenanschlag in Köln sind abgehandelt. Die meisten Bekannten, einstigen Freunde, Gesinnungsgenossen der Beate Zschäpe sind vernommen. Im Herbst wird es um den zweiten Kölner Anschlag und die Banküberfälle gehen, außerdem vermutlich noch um die Unterstützerszene. Aber alles für ein Urteil Wesentliche ist bereits vor dem Richtertisch ausgebreitet worden.

Es gibt keinen vernünftigen Zweifel mehr daran, dass Beate Zschäpe eine zur Gewalt bereite und fanatische Rechtsextremistin war, dass sie von all den Verbrechen des NSU zumindest gewusst hat; und es ist kaum vorstellbar, dass sie diese Verbrechen nicht gewollt hat. Wer über all die Jahre hinweg so eng mit den beiden mutmaßlichen Mördern in der Illegalität zusammenlebt, eine verschworene Gemeinschaft bildet, muss es gewollt haben. Darüber hinaus ist klar, dass Zschäpe das Haus, in dem die NSU-Täter gelebt haben, in Brand gesteckt und so das Leben einer Frau im Nachbarhaus gefährdet hat.

War Zschäpe Helferin oder Mittäterin?

Zschäpe ist nicht nur Mitglied einer Terrorgruppe gewesen, sie hat die Mörder zumindest unterstützt. Das Gericht hat ein großes Puzzle zusammengetragen und all die Aussagen von den Polizeibeamten und den anderen Zeugen, all die Belege und Indizien, nicht zuletzt die, die aus dem Brandschutt geklaubt worden sind, lassen kaum noch einen vernünftigen Zweifel daran.

Aber reicht das alles aus, um Zschäpe auch wegen der zehn Morde nicht nur als Helferin, sondern als Mittäterin zu verurteilen – und dann notwendigerweise zu lebenslanger Haft mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld?

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat 2012 am Beispiel der RAF-Terroristin Verena Becker den aktuellen juristischen Standard für die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe herausgearbeitet. In der Urteilsbegründung heißt es, für Mittäterschaft sei zwar keine Anwesenheit am Tatort, aber die „Mitwirkung an einer direkten Vorbereitungs- bzw. Tatunterstützungshandlung“ notwendig. Wesentlich sei „der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und der Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, sodass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Tatbeteiligten abhängen“.

Beispiel der RAF-Terroristin Verena Becker

Auch Verena Becker war von der Bundesanwaltschaft als Mittäterin angeklagt gewesen, wurde aber nur wegen Beihilfe verurteilt. Die Stuttgarter Begründung: ein „eigener Einfluss auf die konkrete Tatausführung“ sei nicht belegt, „die unmittelbaren Vorbereitungen“ zur Tat seien von anderen RAF-Mitgliedern „beherrscht“ worden. Deshalb habe sie nur Beihilfe geleistet.

Becker war nicht nur gleichberechtigtes, sondern führendes Mitglied der Terrorgruppe; sie wollte die Ermordung des damaligen Generalbundesanwalts Buback. Sie hat bei einem Treffen wenige Wochen vor der Tat – es gab bereits einen präzisen, später aber modifizierten Plan – zum Mord aufgerufen und so die Täter in ihrem Vorhaben bestärkt. Zur Tatzeit war sie im Ausland. Unmittelbar danach hat sie, ähnlich wie Zschäpe, Bekennerschreiben versandt.

Bei Zschäpe gibt es nach 135 Verhandlungstagen keinen belastbaren Hinweis darauf, dass sie die beiden NSU-Mörder zu den Taten angestachelt hätte, dass sie an unmittelbaren Tatvorbereitungen beteiligt gewesen wäre, dass die Taten ohne sie so nicht hätten verübt werden können. Die Anwesenheit an Tatorten ist nicht belegt.

Vorsitzender Richter unterschlägt entlastendes Puzzleteil

Für die Bundesanwaltschaft genügt es, um sie als Mittäterin anzuklagen, dass Zschäpe das Geld der Terrorgruppe verwaltet und den Mördern „den Anschein von Normalität und Legalität“ durch die Schaffung einer „unauffälligen Fassade“ an den Wohnorten geschaffen habe. Dass Zschäpe zumindest in den Urlauben das Geld für alle drei in einer prall gefüllten Geldbörse verwaltet und alles bezahlt hat, bestätigen viele Zeugen. Auch viele Überweisungen wurden von ihr getätigt. Die dazugehörigen Verträge wurden nach Zeugenaussagen oft von den Männern abgeschlossen. Dass Zschäpe in den Wohnorten der Terrorgruppe den Kontakt zu den Nachbarn pflegte, ist durch Zeugen belegt. Im Urlaub andererseits waren es die beiden Uwes, die offensiv Bekanntschaften suchten und intensiv pflegten, wie Zeugen berichten.

Der jüngste, natürlich sofort abgelehnte Befangenheitsantrag der Zschäpe-Verteidiger gegen alle Münchner Richter war so absurd nicht. Ein Zeuge hatte bei der Polizei ausgesagt, alle drei abgetauchten NSU-Mitglieder „hätten nicht den Eindruck erweckt, im Untergrund zu leben“. Das widerspricht ein bisschen der These, nur dank Zschäpes Legendierung seien die Morde möglich gewesen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ging bei seiner Vernehmung des Zeugen auf diesen Satz nicht ein. Natürlich hätten die Verteidiger nachfragen können. Aber es lässt schon tief blicken, wenn der stets so penibel vorbereitete und ausufernd fragende Götzl ausgerechnet ein entlastendes Puzzleteil unterschlägt. Zufall ist so etwas bei ihm nicht.

Alles spricht dafür, dass Götzl und sein Senat der Anklage, nichts spricht dafür, dass sie der differenzierten Stuttgarter Rechtsprechung folgen werden. Die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe ist in der Revision kaum angreifbar.