Im NSU-Prozess werden in dieser Woche am 37., 38. und 39. Verhandlungstag zwei der zehn Morde behandelt, die der Terrorgruppe vorgeworfen werden Die Opfer Süleyman Tasköprü und Theodoros Boulgarides stehen beispielhaft für die Untaten des NSU

München - Im NSU-Prozess werden in dieser Woche am 37., 38. und 39. Verhandlungstag zwei der zehn Morde behandelt, die der rechten Terrorgruppe vorgeworfen werden: Der Gemüsehändler Süleyman Tasköprü war am 27. Juni 2001 in Hamburg getötet worden; Theodoros Boulgarides, Mitinhaber eines Schlüsseldienstes, war am 15. Juni 2005 in München erschossen worden. Es werden Zeugen und Sachverständige gehört.

 

Die Passantin

„Ich habe die Schreie schon von Weitem gehört. Es war sehr laut. Er hat auf Türkisch gerufen: Gott komm zu Hilfe.“ Die junge Frau aus der Nachbarschaft ist in den Gemüseladen hineingegangen. „Da war der erschossene Mensch bei seinem Vater im Arm.“ Sie kannte Süleyman Tasköprü und dessen Vater. Sie hat oft in dem Laden eingekauft. Der Zeugin bricht die Stimme. Sie muss innehalten. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl wartet. Der Zeugin mit einer kurzen, verständnisvollen Bemerkung zu helfen ist seine Sache nicht. „Mehr habe ich nicht gesehen“, sagt die Frau. Die Polizei und die Reporter waren als Erste da, der Krankenwagen „viel später“. Dann kam auch der Bruder des Ermordeten. Er ist auf dem Gehweg zusammengebrochen. „Der Reporter war fast auf ihm drauf. Da bin ich sauer geworden.“ Die Polizei hat sie nach Hause geschickt. Sie hatte den Journalisten mit Eiern beworfen.

Der Vater

Richter fragt nach den Folgen des Mordes

„Er lag am Boden. Ich habe seinen Kopf auf den Schoß genommen und am Gesicht berührt. Er wollte etwas sagen, konnte es aber nicht. Er hat noch gelebt.“ Dann kamen die Helfer, haben Süleyman aus seinen Armen genommen und auf den Boden gelegt. Der Vater fragt in Richtung der Täter: „Mein Sohn war 31 Jahre alt. Was wollten Sie von ihm?“ Und er fährt fort: „Wir sind Leute, die auf eigenen Füßen stehen. Wir lebten von unserem eigenen Geld.“ Der Richter fragt nach den Folgen des Mordes. „Sie haben mir mein Herz abgerissen.“ Süleyman hatte eine Tochter, die nach dem Mord bei den Großeltern aufwächst. „Dank ihr können wir stehen bleiben. Sie lässt uns am Leben bleiben.“ Sechs Jahre war die Enkelin in Therapie. Seine Frau hat Probleme mit dem Herzen bekommen, eine Ader war verstopft. „Ihr wurde das Herz geöffnet.“ Der Richter fragt nach dem Wesen des Sohnes. „Er war ruhig, aber sportlich. Er war beliebt. Er achtete auf seine Kleidung. Da war nie ein Fleck.“ Hobbys? „Meistens arbeitete er.“ Ein wenig Fußball und Karate.

Der Polizist

Er erläutert die Tatortfotos. Die große schwarze Lache am Boden hinter der Theke. „Das ist Blut, möglicherweise auch Hirnmasse.“ Der Vater hat ihm von zwei jungen Männern berichtet, die er kurz nach der Tat vor dem Laden gesehen habe. Aber er konnte nur eine ungenügende Personenbeschreibung geben. Phantombilder seien nicht möglich gewesen. Deshalb „kein Ermittlungsansatz“. Heute weiß man, dass es sich um die beiden mutmaßlichen Haupttäter, die inzwischen toten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gehandelt haben könnte.

Der Gutachter

Die Blutstropfen in der Blutlache sprächen dafür, das Süleyman Tasköprü nach dem ersten Schuss, der quer durch sein Gesicht ging, noch kurz gestanden habe. Er habe möglicherweise aus Nase und Mund geblutet. Dann sei er wahrscheinlich gestürzt; die Blutergüsse könne er sich dabei zugezogen haben. Die beiden Schüsse in den Hinterkopf trafen ihn wohl, als er schon lag. Der letzte Schuss war aufgesetzt. Die kleinen Einblutungen am Oberarm könnten von den Bemühungen der Rettungskräfte herrühren. So etwas sei nicht besonders ungewöhnlich.

Die Kriminalbeamtin

Wie groß wurde der Machtrausch der NSU

Sie habe eine „sehr gute Beziehung“ zu der Familie gehabt, sei oft dort gewesen und habe Tee getrunken, weil immer wieder Fragen aufgetaucht seien, aber auch um über den Stand der Ermittlungen zu berichten. Nebenklägervertreter hatten zuvor gesagt, die Familie habe massiv auch darunter gelitten, dass die Polizei das Opfer mit Drogendelikten in Verbindung gebracht und den Eindruck erweckt habe, dass man den Angehörigen nicht glaube.

Der Geschäftspartner

Er war am Abend des 15. Juni 2005 zu dem Laden gefahren, wo er gemeinsam mit Theodoros Boulgarides einen Schlüsseldienst betrieb. „Ich hatte Theo angerufen, und er ist nicht ans Telefon gegangen.“ Obwohl es die Notfallnummer war, unter der der Schlüsseldienst 24 Stunden erreichbar sein sollte. „Er lag auf dem Rücken hinter dem Tresen, gerade, das Telefon rechts neben ihm.“ Es gab kein Lebenszeichen mehr. „Ich habe die Polizei angerufen.“ Den Laden hatten die beiden erst 14 Tage zuvor eröffnet; sie kannten sich noch nicht lange. Es gab an dem Ladenlokal keinen Hinweis darauf, dass einer der Betreiber ein Ausländer war. Sein griechischer Partner sei aber von vielen Menschen für einen Türken gehalten und oft auch so angesprochen worden.

Diese Aussage wirft die Frage auf, wie genau der NSU in dieser Spätphase seines Wütens die Opfer noch ausgespäht, wie kurzfristig inzwischen die Morde geplant wurden, wie groß der Machtrausch geworden war. Wie er Boulgarides beschreiben würde? „Er war eine gelassene Person, immer auf Frieden ausgerichtet.“ Ob er wisse, was die Tat für Boulgarides’ Familie bedeutet habe? „Die totale Zerstörung würde ich sagen, nicht nur für die Familie.“ Und für ihn? Ob der Richter das psychisch oder finanziell meine? Beides. Die langjährige Freundin habe sich von ihm getrennt. Es ging nicht mehr. Das Verbrechen habe ihn auch viel Geld gekostet, weil ihn die Polizei schikaniert habe. Wie er das meine? „Die Polizei hat mich monatelang vorgeladen, die Mitarbeiter monatelang vorgeladen. Sie haben immer dasselbe gefragt. Das drehte sich ständig im Kreis.“ Sie hätten gefragt, ob sein Partner sexsüchtig oder spielsüchtig gewesen sei. „Sie wollten uns in den Dreck ziehen.“ Das Formular für die Zeugenentschädigung lehnt er ab. Er ist wütend.

Der Rettungsassistent

Das EKG zeigt die Nulllinie

Er war bereits drei Minuten nach der Alarmierung am Tatort. Beim Opfer war „viel Blut im Kopfbereich“ vorhanden. Die Schädelverletzungen seien so massiv gewesen, dass der Mann nicht mehr leben konnte. Der Sanitäter sah beginnende Leichenflecken im Nackenbereich: „Es war schon länger her.“ Er legte noch ein EKG an; es zeigte die Nulllinie.

Der Polizist

Die Sonderkommission habe Drogenhunde angefordert. Die hätten in dem Laden und der sich anschließenden Wohnung von Boulgarides aber keine Hinweise auf Rauschgift gefunden. Durch die Obduktion wurde ausgeschlossen, dass Boulgarides Drogen nahm. Die gesamte Einrichtung sei „bestimmungsgemäß“ gewesen, so der Polizist. Neben dem Opfer war eine Patrone gefunden worden, bei der Obduktion in seinem Kopf zwei weitere.

Die Angeklagte

Beate Zschäpe folgt der Verhandlung sonst sehr aufmerksam, betrachtet die Zeugen und die an die Wand geworfenen Fotos genau, beispielsweise wenn in dieser Woche wieder einmal etliches aus ihrer früheren Habe gezeigt wird, die aus der ausgebrannten Wohnung des NSU-Trios in Zwickau noch sichergestellt werden konnte: Schuhe, Waffen, Mützen, Ausweise, CDs. Wenn aber die Angehörigen sprechen, die Fotos mit den Leichen erscheinen, schaut Zschäpe zur Seite. Die Angeklagte macht dabei freilich nicht den Eindruck, dass all das sie gleichgültig ließe, was sie an Fakten und vor allem Gefühlen zur Kenntnis nehmen muss. Spannend bleibt, wie lange Beate Zschäpe das aushält, ohne mit dem Reden zu beginnen.

Die Stadt

Eine halbe Stunde nach Verhandlungsende rast wieder einmal eine Kolonne von vier Einsatzfahrzeugen mit verdunkelten Scheiben, die Sirenen nie ausschaltend, über die roten Ampeln der Innenstadt in Richtung Haftanstalt. Vorne sitzen schwarz uniformierte Spezialkräfte, ganz so, als befände man sich nicht in München, sondern in Kabul, wo hinter jeder Straßenecke ein Terrorkommando auftauchen könnte. Wer dort drinnen sitzt, muss sich für wichtig halten.