Tino Brandt, einer der wichtigsten Zeugen im NSU-Prozess, schildert seine Zeit in der Neonaziszene und die Arbeit für den thüringischen Verfassungsschutz.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Im Münchner Gericht liegt am 127. Verhandlungstag des NSU-Prozesses ein leises Knistern in der Luft, bevor Tino Brandt befragt werden soll. Man kann das spüren und hören: Als eine Rechtsanwältin wegen der vielen hier schon aufgetretenen Zeugen aus der rechten Szene, die sich meist an fast gar nichts mehr erinnern, darauf hinweist, dass man auch Ordnungshaft verhängen könne, wenn jemand nicht aussage, wird der Vorsitzende Richter zum ersten Mal seit Monaten richtig fuchtig: Manfred Götzl verbittet sich lautstark und wütend Belehrungen. Er will sich nicht rausbringen lassen. Aber er ist eben auch leicht nervös. Dann kommt, in Handschellen, Tino Brandt.

 

Brandt ist ein kleiner, schwerer Mann von fast vierzig Jahren mit einem runden Kopf, Brille und Stoppelhaarwuchs. Er hat Einzelhandelskaufmann gelernt, ist heute arbeitslos und sitzt derzeit in der JVA Gera ein. Man wirft ihm unter anderem sexuellen Missbrauch von Jugendlichen vor.

Er hat eine schnarrende, unwirsche Stimme. Es schwingt immer Abwehr mit, wenn er redet. Aber er redet. Götzl will Brandts Geschichte als Rechtsradikaler, NPD-Führungskraft und V-Mann des Verfassungsschutzes ausleuchten. Brandt ist eine der zentralen Figuren in diesem Verfahren, vielleicht sogar die zentrale.

Beate Zschäpe sei „keine dumme Hausfrau“ gewesen

Tino Brandt beginnt seine politische Laufbahn in den frühen neunziger Jahren als Initiator und Betreuer beim sogenannten Thüringer Heimatschutz, da habe man nach der Wende „alle Jugendlichen in Thüringen, die ähnliche Meinungen hatten, kennengelernt“, also „die beiden Uwes, Beate, Herrn Wohlleben, André Kapke, alle“. Man sei sich einig gewesen, dass das wiedervereinigte Deutschland „kein Rechtsstaat“ sei. Das denkt Brandt noch heute. Er habe seit 2001 keinen Kontakt mehr zur Kameradschaft Thüringen, nachdem der „Fehler meines Lebens“ aufgeflogen sei: seit 1994 hatte er für den Verfassungsschutz gearbeitet.

Brandt hat Beate Zschäpe bei einem Stammtisch kennengelernt – und später bei Demonstrationen und Schulungen getroffen. Uwe Mundlos sei der „Enkel“-Typ gewesen („dem hat jede Oma sofort vertraut“), sehr kommunikativ, vom Denken her „nationaler Sozialist“. Bei Brandt, der auch Bücher vertrieb, bestellte er Werke über Rudolf Hess und die Waffen-SS. Mundlos, sagt Brandt, konnte auch „argumentativ begründen“, was er dachte. Böhnhardt sei „schweigsamer“ gewesen, „hatte auch nicht so viel gelesen“. Mit Waffen will Brandt nichts zu tun gehabt haben.

Es dauert zwei, drei Stunden, dann ist auch er ähnlich positioniert wie die meisten anderen Befragten aus der rechten ostdeutschen Szene in diesem Prozess: an vieles erinnert er sich nicht mehr. Anderes hat sich in seinem Kopf vermischt „mit den vielen Sachen, die man aus der Presse mittlerweile weiß“, wie Brandt sagt. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe seien jedenfalls „immer als Gruppe aufgetreten“. Zschäpe habe wohl „ständig gewechselt zwischen den beiden Uwes“. Sie sei, so hat es sich Brandt zurechtgelegt, bestimmt „keine dumme Hausfrau gewesen“.

Als die drei 1998 in den Untergrund gehen, führt Brandt mehrere Sammlungen in rechtsradikalen Kreisen für das Trio durch, am Ende kommen ein paar Tausend Euro zusammen. „Und den Rest hat ja dann das Landesamt Thüringen gespendet.“

200 000 Euro zahlte der Verfassungsschutz

Brandt hat zwischendurch sichtlich Spaß an solchen Formulierungen. Als V-Mann soll er im Laufe der Jahre bis zu 200 000 Euro bekommen haben. Daran, dass er Pässe besorgt haben soll, auch nur mittelbar, erinnert sich Brandt nicht. Wohl aber habe er Telefonzellen ausgesucht, in denen er angerufen werden konnte. Mehr und mehr seien die Kompetenzen bei den anderen Helfern von André Kapke auf den Mitangeklagten Ralf Wohlleben übergegangen. Gut für Wohlleben ist das alles nicht in diesem Prozess.

Vom Landesamt für Verfassungsschutz wurde Brandt nach eigenen Ausgaben 1994 nach einem Konzert angesprochen, wo die Kameradschaft die Abkehr vom puren Schlägertum und die Hinwendung zu mehr politischer Aktion propagierte. Brandt beantwortete „ein paar Fragen“ für ein „paar Hundert Mark“. Zu „strafbaren Sachen“ habe er sich überhaupt nie äußern müssen – und hätte das auch nicht getan: „Leute ans Messer liefern“.

Als das Landesamt doch mehr wollte, lieferte Brandt nicht, wurde mehrmals „abgeschaltet“, also nicht mehr eingesetzt, dann aber doch wegen interner Streitigkeiten in der Behörde bis zur Enttarnung 2001 mit durchgeschleppt. Wieder einmal fällt kein gutes Licht auf die Behörde, die im Grunde genommen für teils unwesentliche Informationen eine Menge Geld bezahlt. Brandt sagt, er habe zumindest stets „wahrheitsgemäß“ Auskunft gegeben. Als er enttarnt wurde, ergänzt er, sei sein bisheriges Leben in jedem Bereich „erledigt gewesen“. Die Befragung wird fortgesetzt.