Die Ausstellung „Endstation Magistralia“ setzt sich mit dem Stuttgart 21 und der Fortschrittsgläubigkeit auseinander. Die Identität der Stadt verändere sich durch das Bahnprojekt massiv, so das Künstlerbüro SOUP.

Nürtingen - Ist das Bahnprojekt Stuttgart 21 ein Ausdruck von Größenwahn? Oder ist es vielmehr ein fortschrittliches Infrastrukturprojekt, bei dem der Nutzen für die Allgemeinheit größer ist als die Eitelkeit der Ingenieure? Die Ausstellung „Endstation Magistralia“, die bis zum 20. Oktober in den Räumlichkeiten des Kunstvereins Nürtingen zu sehen ist, sieht das Vorhaben in einem kritischen Licht. Neun Künstler, die sich im Begleitbüro Stuttgarter Observatorium Urbaner Phänomene (SOUP) gefunden haben, wollen in einer fünfteiligen Rauminstallation mit jeweils mehreren Bildstationen versuchen, „dem Transit der schnellen Gedanken entgegenzuwirken, indem diese über Nebengleise zu vergessenen Nebenschauplätzen gelenkt werden und dort eine Pause einlegen können“.

 

Wem gehört die Stadt und was ist Fortschritt?

Zu mehreren dieser Nebenschauplätze führt uns die Wandzeichnung von Michael Gompf. Der Vorsitzende des Kunstvereins ruft unter anderem Herman Sörgels Atlantropa-Idee aus den 1920er-Jahren in Erinnerung. Der Architekt entwarf unter pazifistischen Vorzeichen einen Plan, der ein Kraftwerk bei Gibraltar ebenso einschloss wie Bewässerungsprojekte und einen Tunnel nach Afrika. Die vorgesehene Eisenbahn-Magistrale von Berlin nach Kapstadt dient als Markenzeichen von Sörgels Vision. Michael Gompf stellt das Projekt in einen Kontext mit der Magistrale Paris – Bratislava, auf der S 21 nach dem Willen der Planer eine Etappe bilden soll. Gompfs Fazit: „Wenn der Größenwahn ganz riesig wird, baut man Magistralen“.

Wem gehört die Stadt? Und was ist Fortschritt? Mit diesen Fragen konfrontiert den Besucher der Pavillon, mit dem das SOUP-Büro bereits im Stuttgarter Schlossgarten das S 21-Projekt und den Umgang der Behörden mit den Projektgegnern hinterfragt hatte. SOUP hatte auch einen stillgelegten Parkplatz für Kunstaktionen genutzt. Als die Künstler eines Tages auf dem „Dreilampenplatz“ im Baufeld A 1.7 neun Lastwagenladungen Erdaushub vorfanden, weckte das ihre Neugier. Anders als die S 21-Bagger gruben sie sich behutsam durch die Erde und förderten Erstaunliches zu Tage: Knochen, Tonscherben, Knöpfe von Militäruniformen, Patronenhülsen, einen Orden und Artefakte aus der Zeit zwischen 1856 und 1925.

Stuttgart 21 unter künstlerischer Langzeitbeobachtung

Zu einem Scherbenkreis geformt sind sie laut Michael Gompf Teil der kulturellen Identität Stuttgarts. S 21 verändere diese Identität dramatisch – auch darauf will die Ausstellung aufmerksam machen.

Das Stuttgarter Observatorium Urbaner Phänomene (SOUP) zielt seit dem Jahr 2009 darauf ab, „das Geschehen um Stuttgart 21 einer künstlerischen Langzeitbeobachtung zu unterziehen“.

Das Begleitbüro SOUP lädt zu einem Gespräch im Kunstverein Nürtingen am 17. Oktober ein. Von 19 Uhr an dreht sich in der Mühlstraße 16 alles um die Frage: „Was bedeutet Fortschritt?“

Die Ausstellung „Endstation Magistralia“ ist bis zum 20.  Oktober zu sehen – donnerstags von 17 bis 20 Uhr und sonntags von 11 bis 17 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung unter der Rufnummer 0 70 22/4 12 47.