Beim Jubiläum der Freien Kunstakademie setzt Justyna Koeke einen ersten prunkvollen Akzent.

Nürtingen - Einen Tag ist der Nürtinger Oberbürgermeister Alfred Bachofer 1980 im Amt gewesen, als ihn K. H. Türk anrief, der Gründer der Freien Kunstakademie Nürtingen (FKN): „Des geht ja gar net!“ Der Abriss der alten Textilfabrik Melchior, lange Zeit der wichtigste Arbeitgeber der Stadt, hatte begonnen, Bachofer schritt ein. Ohne Türk und seine Frau Ilse und ohne den anwesenden Bachofer hätte die Akademie keinen Grund zum Feiern: Daran erinnerte die Bürgermeisterin Claudia Grau bei der Eröffnung der viertägigen FKN-Jubiläumsveranstaltung. Sie zeigte sich erfreut über die vielen Gäste – vertreten auch die Familien Melchior und Otto, die auf dem Areal die längste Zeit das Sagen hatten. In Bezug auf den Vorstoß der Verwaltung am Vortag, direkt nebenan ein Hotel zu bauen, bat Grau, den geplanten Bau „nicht direkt an die FKN hinzuklatschen.“

 

Die Fabrik wäre fast komplett abgerissen worden

Kunst braucht Freiräume, Luft zum Atmen – auch im wörtlichen Sinne. Es wäre ein Rückschlag für Nürtingen, wenn der unermüdliche Eifer, mit dem Gründer, Lehrer, Schüler und Unterstützer die Akademie am Leben gehalten haben, nicht honoriert würde. Die Akademieleiterin Katrin Burtschell brachte es auf den Punkt: „Ohne den engagierten Einsatz derer, die an die Vision einer Humanisierung der Gesellschaft durch Kunst glaubten, würde diese Fabrik, die 1980 zum Abriss freigegeben wurde, nicht mehr stehen.“

Punkt für Punkt führte Jürgen Thies, einer der acht Gründer, anschließend aus, wie Studierende der damaligen Freien Kunstschule eigenhändig mehr als ein Gebäude in Nürtingen renovierten, wie die Kunsttherapie dazu kam und später unabhängig wurde, wie von der FKN unter anderem die Jugendkunstschule ausging und wie aus seinem eigenen Hölderlin-Projekt die Stadt schließlich den offizielle Titel: „Hölderlin-Stadt Nürtingen am Neckar“ entwickelte. Das war fast zu viel der Festreden, zumal Thies‘ Ausführungen in zwei Büchern nachzulesen sind: einem soeben erschienenen zu Hölderlin und einer Festschrift im Herbst.

Hohepriesterin der Weiblichkeit

Dann aber bot Justyna Koekes „Thomas Weber Tanz-Show“, choreografiert von der Tänzerin Sawako Nunotani mit Studierenden der FKN, eine fast barocke Sinnenpracht. Weber fertigt keramische Plastiken, die ein wenig aussehen wie übergroße afrikanische Bastkörbe. Daran orientiert sich Koeke mit ihren bunten, raumgreifenden Kostümen. Ob Oskar Schlemmer seine Freude gehabt hätte? Sicher nicht, denn der Bauhaus-Meister hielt Kunst für Männersache. Koeke antwortet mit Witz und weiblichen Formen. Eine Tänzerin hat die Hände in die Hosentaschen eingenäht, bei einer anderen münden sie in Wedel. Zu orientalischer Musik, die an Bauchtanz erinnert, gibt es Paar- und Gruppentänze, bis Koeke selbst auftritt – wie eine Königin: überbordend eingepackt in bunte Schläuche, in beiden Händen rosafarbene, von goldenen Strahlen umgebene Herzen.

Fehlt noch das Buffet des Koch-Künstlers Mario Ohno. Spanplatten-Sockel wandeln in den Saal. Darauf steht: Kunst soll nicht schön sein, sondern sättigen. Dazu hat es allerdings nicht gelangt. Man musste sich beeilen, um mehr als eines der ausgezeichneten Häppchen abzubekommen.