Am Landgericht hat der Prozess gegen einen 43-Jährigen begonnen, der vorigen Herbst in Nürtingen-Oberensingen seine 69 Jahre alte Mutter umgebracht hat. Offenbar handelte er im Wahn und glaubte, dass die Frau eine Hexe wäre.

Regio Desk: Oliver im Masche (che)

Nürtingen/Stuttgart - Der Beschuldigte wirkt unauffällig. Der 43-Jährige ist ruhig, drückt sich gewählt aus und schildert ausführlich seinen Lebenslauf. Doch als er von der Tat berichtet, ist er kurz davor, in Tränen auszubrechen: „Mir ist alles aus den Händen geglitten. Eine Stimme hat es mir befohlen. Ich war wahnsinnig. Das lastet sehr auf mir.“ Dann verstummt der Mann.

 

Am 1. Oktober 2014 frühmorgens war der 43-Jährige in dieser „wahnsinnigen“ Verfassung gewesen. „Diese Hexe“, rief der Mann völlig außer sich ins Telefon, nachdem er den Notruf gewählt hatte. Als Polizisten das Wohnhaus in Nürtingen-Oberensingen (Kreis Esslingen) betraten, entdeckten sie die Mutter des 43-Jährigen tot auf einem Schlafsofa im Wohnzimmer. Der Mann hatte die 69-Jährige in der Nacht mit 41 Axthieben erschlagen.

Täter gilt wegen Psychose als nicht schuldfähig

Am Donnerstag hat am Landgericht das Sicherungsverfahren gegen den 43-Jährigen begonnen. Bereits bei der Polizei und in der Klinik hatte der Beschuldigte eingeräumt, seine Mutter umgebracht zu haben. Strafrechtlich wäre die Tat als Mord aus Heimtücke zu werten, weil der Mann die Frau im Schlaf umgebracht hat.

Doch die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Beschuldigte sein Handeln bei der Tat wegen einer schweren psychischen Erkrankung nicht steuern konnte und damit nicht schuldfähig ist. Dem Mann droht daher die dauerhafte Zwangseinweisung in die Psychiatrie. Dort müsste der 43-Jährige so lange bleiben, bis von ihm keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.

Psychiater kommen zum Schluss, dass der Mann die Tat im Zuge einer akuten schizo-affektiven Psychose begangen hat. Der Beschuldigte leidet offenbar bereits seit fast 20 Jahren an psychischen Problemen. In all den Jahren ließ sich der Mann aber behandeln. Dennoch gab es immer wieder Übergriffe, nach denen er in die Psychiatrie musste oder freiwillig ging. Im Jahr 1996 hatte er seine Großmutter geschlagen. Später attackierte der Mann seine Eltern: zunächst seinen Vater, der 2008 verstarb, und 2010 seine Mutter. Die Übergriffe verliefen aber glimpflich. Die letzte stationäre Behandlung des Beschuldigten war 2011.

Beschuldigter ist seit fast 20 Jahren psychisch krank

Zuvor schon hatte sich die psychische Erkrankung des Mannes als so schwer erwiesen, dass er 2004 wegen Erwerbsunfähigkeit in Rente ging. Der Steinmetz zog zurück ins Elternhaus und arbeitete zunächst als Helfer in einem Heimatmuseum. Später besserte er seine karge Rente mit Gelegenheitsjobs auf 450-Euro-Basis auf.

Während die Mutter kochte und die Wäsche wusch, ging der Beschuldigte seinen Hobbys nach: Mit seinem beiden Motorrädern machte er Touren, stolz war er auf seinen Computer, seinen Fernseher und die Musikanlage. „Wir haben gut zusammengelebt“, beschreibt der Beschuldigte das Verhältnis zu seiner Mutter.

Mutter sah den Sohn offenbar als Versager an

Dennoch hat es offenbar Spannungen gegeben: Auf einmal platzt es aus ihm heraus, dass er seiner Mutter im Streit vorgeworfen habe, dass sie ihn nicht wie einen Schulbuben behandeln solle, sondern als Mann. „Sie hat gesagt, dass ich ein Versager sei. Das hat mich aufgeregt“, sagt der Beschuldigte. Zudem deutet er verärgert an, dass seine Mutter ab und an Nein gesagt habe, wenn er wieder einmal Geld brauchte.

Mutter als „Hexe“ wahrgenommen

Ausführlich beschreibt der Mann aber seine Wahnvorstellungen. Er berichtet von Bombern, die über dem Haus gekreist seien, von germanischen Göttern, die mit ihm gesprochen hätten, und erwähnt einen Bienenstich, bei dem er geglaubt habe, dass die „Geisterwelt“ ihn angreife. Darüber hinaus habe ihn der Gedanke geplagt, dass die 69-Jährige nicht seine Mutter ist. Fatal war indes offenbar der Wahn, dass die Frau tatsächlich eine „Hexe“ wäre. Das Elternhaus bezeichnete er auch Tage nach seiner Festnahme als „Hexenhaus“.

In dem Prozess soll auch eine psychiatrische Sachverständige ihr Gutachten vorstellen. Mit ihr hat der Mann ausführlich gesprochen. Er meint, dass die Medikamente, die er bekam, zu niedrig dosiert waren. Möglich ist aber auch, dass der Mann die Medizin nicht vollständig einnahm.

Nach der Tat hatte es insgesamt dreimal in dem Haus gebrannt. Die Täter konnten bis heute nicht ermittelt werden. Das Gebäude ist nicht mehr bewohnbar.