Chefredaktion : Holger Gayer (hog)


Dann lassen Sie uns doch mal einen virtuellen Spaziergang vom Bahnhof aus zur neuen Stadtbibliothek unternehmen.
Da kommen wir zuerst an den Bankgebäuden der LBBW vorbei. Wenn Sie dort an einem Novembernachmittag über das Gelände laufen, können Sie eine Kafka-Verfilmung drehen. Wenn wir das hinter uns haben, sehen wir die Bibliothek – die liegt in dem Gelände wie reingewürfelt. Und dann soll dieses Einkaufszentrum Milaneo dazukommen – und mit dem Milaneo viel neuer Autoverkehr! Um die Ecke mache ich mir in Stuttgart die meisten Sorgen. Das wird nicht besonders urban.

„Urban“, schon wieder so ein Schlagwort. Erklären Sie uns, was Sie darunter verstehen.
Urbanität heißt, dass sich Menschen, da wo sie wohnen und einkaufen, auch wirklich begegnen können. Es geht darum, ein Teil des öffentlichen Lebens sein zu können und nicht an den ewig gleichen Bank- und Versicherungsgebäuden entlangstiefeln zu müssen. Im Stuttgarter Kessel brauchen wir mehr Wohnungen – auch sozial geförderte. Und Plätze, auf denen man verweilen kann. Das Gerber und das Milaneo wären für mich die letzten Einkaufszentren, die wir hier bauen.

Angenommen, Sie würden gewählt, in welches Viertel würden Sie am liebsten ziehen?
Mir gefallen viele Gegenden. Ich könnte mir das Heusteigviertel gut vorstellen oder den Westen, auch ein Ortsteil wie Berg gefällt mir sehr.

Nach Luginsland würden Sie also nicht wieder rausziehen.
Von dort wäre mir der Weg ins Rathaus zu weit. Mir ist übrigens aufgefallen, dass Luginsland inzwischen unter einem Problem leidet, das man in vielen Außenbezirken findet: Als wir vor zwölf Jahren weggezogen sind, gab es einen Supermarkt, zwei Bäcker und einen Metzger. Davon ist nicht mehr viel übrig geblieben.

Wenn sich dort Geld verdienen ließe, würden die Geschäftsleute von selbst kommen.
Da glauben Sie aber extrem an den Markt. Es kann auch gut sein, dass keiner die Chancen eines solchen Standorts erkennt. Die Stadt muss sich darum kümmern.

Damit sprechen Sie auch die sozialen Verhältnisse in der Stadt an. Spötter beschreiben Teile Ihrer Wählerschaft als „Lifestyle-Grüne“. Wer Grün wählt, muss sich das leisten können.
Spötter spotten oft an der Wirklichkeit vorbei. Bei mir hat schon meine Familie dafür gesorgt, dass soziale Gerechtigkeit für mich ein entscheidender Wert ist. Mein Vater war in der SPD, und mein Großvater hat mir immer gesagt: „Das Soziale kommt nicht von selbst.“ Das ist ein zutreffender Satz. Marktwirtschaft ist nur sozial, wenn ihr der Staat Rahmenbedingungen setzt. Für meine Eltern war übrigens gerade ein nachbarschaftlicher Umgang ein Wert an sich – auch aus der Nachkriegserfahrung heraus.