Das Ulmer Münster, Wahrzeichen der Stadt, wird zunehmend geschädigt, weil häufig in die Ecken gepinkelt wird. Der historische Sandstein der höchsten Kirche der Welt zerbröselt unter den Attacken. Der Gemeinderat will das nicht länger hinnehmen und diskutiert über Gegenmaßnahmen

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Hoch droben, in den lichten Höhen des Ulmer Münsterturms, arbeiten die Steinmetze seit einem Jahr an einem 25 Millionen Euro teuren Sanierungsprojekt. Bis zum Jahr 2025 sollen 2700 marode Steine ersetzt werden, weitere 1800 bekommen eine Konservierung mit Kieselsäureester. Ohne die Finanzhilfen des Landes und das unermüdliche Spendenklappern bei örtlichen Unternehmen wäre das nicht zu schaffen.

 

Während es oben herum hübsch wird, rieselt tief unten der historische Sandstein an vielen Sockelstellen des Jahrhunderte alten Sakralbaus. Nicht der Wind oder die Schadstoffe der Großstadtluft sind dafür ursächlich. Sondern so genannte Wildpinkler, wie es sie in allen Städten gibt. Bloß schädigen sie nicht, wie in Ulm, die höchste Kirche der Welt.

Die Ecken sind schwarz vom Urin, die Steine verätzt

Offenbar versteckt es sich hinter den Mauervorsprüngen des Münsters so schön, wenn nach ein paar Bieren die Blase drückt. Die Münsterfassade ist geradezu zerklüftet; in den vielen Außennischen hatten in früheren Zeiten die Devotionalien-Händler ihre Stände aufgebaut. Jetzt sind die Ecken schwarz vom Urin, Steine und Rinnen sind vielfach verätzt.

Die meisten Übeltäter sind Männer unter Alkoholeinfluss, berichtet die Münsterpfarrerin Tabea Frey. „Das geht durch alle Schichten durch“, sagt sie. Und durch alle Tageszeiten. Es seien sogar schon Wildpinkler während der Gottesdienste im Vorraum des Kirchenschiffs aufgetaucht. Neben den offensichtlichen baulichen Schäden macht die Pfarrerin die „Respektlosigkeit“ der anonymen WC-Verächter fassungslos.

Je heißer die Sonne wird, desto stärker breitet sich der Gestank aus. Der vom Urin durchsetzte Sandstein, sagt der Münsterbaumeister Michael Hilbert, kann am Ende seines Verfalls nur komplett ausgetauscht werden – für bis zu 5000 Euro pro Meter. Eine wirksame Imprägnierung gibt es nicht. Regelmäßig eingesetzte Hochdruckreiniger, ergänzt Pfarrerin Frey, die im Sommer als Ausbilderin für die Laienprediger in der Evangelischen Landeskirche nach Stuttgart wechselt, würden mehr Schaden als Nutzen bringen.

Die Mauernischen werden mit Bauzäunen abgesperrt

Die Vertreter der Ulmer Münstergemeinde helfen der Kirche mittlerweile, indem bei Großveranstaltungen wie dem Schwörwochenende die Mauernischen mit Bauzäunen abgeschirmt werden. „Das war schon mal ganz gut“, sagt die Münsterpfarrerin. Aber nicht genug. Es gebe rund um den Münsterplatz zu wenige öffentliche Toiletten, heißt es aus den Reihen der Kirchenmitarbeiter.

Die Lokalpolitik zeigt sich mittlerweile ebenfalls angefressen vom Treiben der Eckenpinkler. Die CDU-Stadtratsfraktion mit Thomas Kienle an der Spitze fordert in einem Antrag von der Stadtverwaltung ein „energisches Vorgehen.“ Man könne der „Verunreinigung und Zerstörung dieses einmaligen Bauwerks nicht länger zusehen.“ Unter anderem verlangt die CDU, das Bußgeld für Wildpinkler (bisher 50 Euro) „drastisch zu erhöhen.“ Die Verwaltung soll außerdem die Installation von Überwachungskameras prüfen und die Kontrollen durch Ordnungskräfte verschärfen. Auch die Einrichtung einer weiteren öffentlichen Toilette zieht die Fraktion in Erwägung.

Öffentliche Toiletten gibt es in der Nähe, aber sie kosten 50 Cent pro Besuch. „Das müsste eigentlich ein kostenloses Angebot sein“, sagt Pfarrerin Frey im Hinblick auf ein weiteres kommunales WC. Auch die Grünen im Gemeinderat haben sich mittlerweile hinter die Forderung nach mehr Toiletten gestellt. Es sei „bekanntlich deutlich einfacher, Menschen von rechtswidrigen Taten abzuhalten, wenn sie das angestrebte Ziel auch auf legalem Wege erreichen können“, steht in einem Fraktionsantrag an die Verwaltung.

Weder Grüne noch die Kirche wollen Videoüberwachung

Einer Videoüberwachung erteilen die Grünen eine Absage; sie wollen, wie sie schreiben, keine „Überwachungsstadt“. Auch Tabea Frey ist skeptisch. Kameras könnten am Ende nicht nur Wildpinkler abhalten, sagt sie, sondern auch Trostsuchende, die im Münster nach Momenten der Ruhe und Einsamkeit suchten.

Die Grünen wollen das Thema zunächst im städtischen Arbeitskreis „Sicherheit und Ordnung“ weiterdebattiert wissen. Die CDU dringt auf erste Entschlüsse und auf die Umsetzung ihrer Vorstellungen – unter anderem eine Mithaftung durch Festveranstalter – bis spätestens zum 22. April. Dann beginnt in der Innenstadt eine unter diesen Vorzeichen geradezu bedrohlich wirkende Festivität: der jährliche Kleinbrauermarkt.