Nach der Vergabe der Olympischen Spiele 2020 wird in Japans Hauptstadt gefeiert. Im Rest des Landes noch nicht so sehr.

Tokio - Sehr japanisch, mit einer Entschuldigung nämlich, leitete der Premierminister Shinzo Abe die Facebook-Nachricht ein, die vor allem in Tokio, wo ein Viertel der Japaner lebt, die Menschen in Jubelstürme ausbrechen ließ. „Hier ist Shinzo Abe. Es tut mir leid, dass ich mich zu so früher Stunde melde. Vorhin wurde Tokio zur Gastgeberin der Olympischen Spiele 2020 gewählt“, fuhr er fort. „Dieser Sieg ist das Ergebnis dessen, dass alle Landsleute eins miteinander geworden sind – und diese Leidenschaft ist bei der Welt angekommen.“ Am Sonntagabend Ortszeit bekam er dafür 140 000 „Gefällt mir“-Klicks.

 

Der deutsche IOC-Vizepräsident Thomas Bach, der als Favorit gilt, wenn am Dienstag der neue Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gewählt wird, drückte es gegenüber dem „Wall Street Journal“ etwas pragmatischer aus: „In unserer unvorhersehbaren Welt haben die Mitglieder des IOC die Tendenz, einen Antrag zu bevorzugen, der Stabilität betont.“ Das habe am Ende den Ausschlag gegeben. Tokio wird 2020 zum zweiten Mal nach 1964 Athleten aus der ganzen Welt willkommen heißen. Für Japan sind es die vierten Spiele: Sapporo und Nagano waren Gastgeber der Winterspiele 1972 und 1998.

Nachdem die Wahl von Rio de Janeiro als Gastgeberin der Spiele 2016 wegen der Demonstrationen in Brasilien während des Confederations-Cups im Juni den IOC-Entscheidern Sorgenfalten auf die Stirn getrieben hatte, suchten sie nach Sicherheit, Tradition und Stabilität, und fanden sie – relativ gesehen – in Tokio. Das Image des Ausrichterlandes wird da sehr geholfen haben: Den Japanern wird zugetraut, gut und verlässlich im Organisieren zu sein sowie genügend Geld für Olympia zu haben – Staatsschulden von derzeit rund 250 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zum Trotz.

Tokio war bereits im Vorfeld Favorit

Die Konkurrenten, das finanzschwache Madrid und das kürzlich von Unruhen gebeutelte Istanbul mit seinem Nachbarn Syrien, in dem ein Bürgerkrieg herrscht, kamen dagegen nicht an. Zwar steht die japanische Hauptstadt ihrerseits im Schatten der Atomkatastrophe von Fukushima, doch die japanische Delegation und Shinzo Abe selbst versicherten immer wieder, dass das zerstörte Atomkraftwerk bis dahin unter Kontrolle sei und kein radioaktives Wasser mehr in den Pazifik fließen würde. „Ich bin überwältigt. Wir brauchen Träume und Hoffnung, um unseren Wiederaufbau voranzutreiben“, sagte Abe in Buenos Aires. „Die Freude war größer als bei meinem eigenen Wahlsieg.“

Tokio galt schon im Vorfeld bei den Buchmachern als Favorit. In der ersten Wahlrunde führte die japanische Hauptstadt mit 42 Stimmen, gefolgt von Istanbul und Madrid mit je 26. Obwohl Istanbul vor allem seit der Syrienkrise als Außenseiter galt, schaffte es die türkische Megalopole, Madrid aus dem Rennen zu werfen. Schließlich entschied Tokio mit 60 Stimmen die Schlussrunde für sich; Istanbul kam nur auf 36 Stimmen.

Alle drei Kandidaten hatten sich bereits mehrfach darum beworben, die prestigeträchtige Veranstaltung zu organisieren, von der sich die Länder wirtschaftliche Vorteile, einen Imagegewinn und damit nicht zuletzt mehr Touristen versprechen. Der Tokyo-Tower, eines der Wahrzeichen der Stadt, erstrahlte nach der IOC-Entscheidung von 5.20 Uhr Ortszeit an in den olympischen Farben und zeigte die Zahl 2020 an. An mehreren Veranstaltungsorten von 1964, die 2020 wieder zum Einsatz kommen, hatten sich Menschen versammelt, um die Nachricht zu feiern.

Im Rest des Landes gibt es auch kritische Stimmen

Im Vergleich zu anderen sportlichen Erfolgen scheint die Freude vor allem in Tokio selbst groß, aber in Japan insgesamt nicht so überschwänglich zu sein wie etwa beim Sieg des Frauenfußballteams bei der WM 2011. Aus dem Rest des Landes, vor allem in den von Tsunami und Atomunfall betroffenen Landesteilen in Nordjapan, waren schon im Vorfeld kritische Stimmen zu hören. „Für Olympia und für Tokio hat der Staat Geld – aber was ist mit dem Wiederaufbau bei uns?“, fragen sich viele.

Die zwiespältigen Meinungen spiegeln sich auch auf Facebook wider: Während sich die einen freuen, schreiben andere enttäuscht darüber, wie einerseits die Probleme in Fukushima und ihre Auswirkungen auf Tokio heruntergespielt würden, andererseits der japanische Premier immer wieder betonte, dass Japan die Spiele 2020 wolle, um die Menschen in den Katastrophengebieten mental aufzubauen und um sich bei der Welt für die Hilfe zu bedanken. „Tokio ist nicht Japan“, schreibt einer. Ein anderer kommentiert: „Unsere Heimat Fukushima und Tokio, das bald Olympia abhalten wird – das scheinen zwei verschiedene Welten zu sein.“