Die Geschichte des World Trade Centers ist die Geschichte einer Fehlplanung. Das gilt für die alten Türme, die vor 40 Jahren eröffnet wurden, ebenso wie für die neuen, die geladene Gäste jetzt erstmals betreten durften.

New York - Wer New York kennt, der kennt auch dieses verunsichernde Gefühl, das einen beschleicht, wenn man die Treppe aus dem U-Bahn-Schacht hinaufsteigt und erst einmal einen Augenblick braucht, um seinen inneren Kompass einzunorden. Vor dem Attentat am 11. September 2001, bei dem die Zwillingstürme zerstört wurden, dienten sie der Orientierung. Sie waren praktisch von überall in der Stadt aus zu sehen, und man musste sich nur nach ihnen umschauen, um zu begreifen, wo man sich im Verhältnis zur Straßenmatrix von Manhattan befindet. Das World Trade Center (WTC) war der Campanile der Stadt: Er half, mit dieser überwältigenden Stadt besser zurechtzukommen.

 

Für ein paar Monate nach dem Attentat erwischte man sich deshalb nicht selten dabei, dass man sich unwillkürlich nach dem WTC umsah, wenn man aus dem Untergrund kam. Als man die Türme dann nicht finden konnte, durchfuhr der Gedanke an das Grauen von 9/11 die Glieder wie ein Schock. Doch jetzt hat die Stadt einen neuen Leuchtturm: das World Trade Center Nummer 1 am Südende von Manhattan hat bereits seine volle Bauhöhe erreicht. Kaum jemand vermisst die alten Türme, die heute 40 Jahre alt würden. Nicht einmal eine offizielle Gedenkfeier ist für den Jahrestag der Eröffnung am 4. April 1973 geplant.

Ein „zutiefst unstädtisches“ Gebäude

Der Mangel an Nostalgie für die beiden Wolkenkratzer, die in den letzten elf Jahren als Symbol für vieles haben herhalten müssen, erklärt sich auch dadurch, dass die New Yorker das WTC nie in ihr Herz geschlossen hatten. Man hatte sich daran gewöhnt – als optisches Gegengewicht zur Skyline von Midtown. Aber im Gegensatz zu den Klassikern – dem Woolworth, dem Empire State Building und dem Chrysler –, mit denen sich die New Yorker bis heute identifizieren, sind sie mit dem WTC nie warm geworden.Von Anfang an wurde das Gebäude als Fremdkörper in der Stadt empfunden, als ein Gebilde, das nicht zum Organismus von Manhattan gehört. Der Superblock, jenes Riesenareal, auf dem es errichtet wurde, war wie aus dem Stadtplan von Manhattan herausgeschnitten. Es war ein autonomes Gebilde, zutiefst „unstädtisch“, wie Paul Goldberger, der Architekturkritiker des Magazins „New Yorker“, schrieb. Das Leben der Stadt hatte keine Chance, in den Quadranten der neuen Monstrosität einzudringen, es musste ihn umspülen wie ein Strom einen riesigen Felsen. Das Projekt, darüber war die Kritik sich schon damals einig, war eine städteplanerische Katastrophe.

Das südliche Manhattan unterhalb der Canal Street war schon seit den vierziger Jahren ein Problemviertel. Der New Yorker Hafen, der über Jahrhunderte den Bezirk geprägt und am Leben erhalten hatte, wanderte zunehmend auf die andere Flussseite nach New Jersey ab, wo die großen Frachtschiffe besser gelöscht werden konnten. Die Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe, die ein Hafen ernährt, starben ab. Die Gegend wurde zunehmend zur Brache. Lediglich an der Wall Street, nur wenige Fußminuten vom späteren WTC entfernt, fand noch nennenswerte wirtschaftliche Aktivität statt.

Rockefellers Vision vom Weltfinanzzentrum

Für den Ölmilliardenerben und damaligen Chef der Chase Manhattan Bank, David Rockefeller, war deshalb klar, dass die Zukunft des unteren Manhattan nur in der Finanzbranche liegen konnte. Gemeinsam mit seinem Bruder, dem New Yorker Gouverneur Nelson, entwickelte Rockefeller die Vision eines Weltfinanzzentrums, das New Yorks zentrale Stellung auf den globalen Finanzmärkten nach dem Zweiten Weltkrieg widerspiegeln sollte. Gleichzeitig sollte das WTC das untere Manhattan beleben und die gesamte Stadt in ihre neue, postindustrielle Zukunft führen. Rein wirtschaftlich behielt Rockefeller recht – die Finanzbranche ist heute mit Abstand der wichtigste Wirtschaftsfaktor der Metropole. Städteplanerisch verfehlte das WTC jedoch klar sein Ziel.

Die Planung folgte dem Irrglauben, dass ein Stadtteil allein durch den Bau von großen Mengen an Bürofläche belebt werden kann, und sie krankte daran, dass der Bau einem veralteten städtebaulichen Paradigma folgte. „Es war eine abstrakte Komposition und kein funktionierender Teil der Stadt“, befand der Kritiker Paul Goldberger: „Es gehorchte den bei der Grundsteinlegung längst veralteten Prinzipien der Stadterneuerung aus den fünfziger und sechziger Jahren.“

Die Vision einer wohlgeordneten, kartesianischen Metropole hatte sich in den siebziger Jahren längst überlebt. Sozialbautürme hatten sich nicht als humane Unterkünfte für die unteren Einkommensschichten herausgestellt, sondern als Brutstätten von Elend und Gewalt. Isolierte Bürokomplexe hatten sich als seelenlos und steril entpuppt, große Stadtautobahnen einfach nur als Belästigung.Die Wiederbelebung des unteren Manhattan bleib nach dem Bau des WTC dementsprechend aus. Das Viertel war nach Büroschluss öde und verlassen. „Wer keinen Grund hatte, hier zu arbeiten, verirrte sich nicht hierher“, so Goldberger. Dass zur Jahrtausendwende doch noch neues Leben im Viertel erblühte, war laut Goldberger nicht wegen, sondern trotz des World Trade Centers passiert.

Innovative Ideen wurden verstümmelt

All das hätte Grund genug sein sollen, beim Wiederaufbau von Ground Zero die Fehler vom ersten Mal zu vermeiden. Doch die wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen haben nach 2001 so schnell den planerischen Spielraum eingeengt, dass eine grundlegende Neukonzeption des Geländes von vornherein ausgeschlossen war. Der Masterplan des Architekten Daniel Libeskind wurde von Anfang an durch die kommerziellen Vorgaben der Bauherren unterwandert, und viele seiner innovativen Ideen wurden im zähen Planungsprozess verstümmelt.

So werden auf Ground Zero Millionen von Quadratmetern an Bürofläche gebaut, für die es – wie schon 1973 – nicht annähernd genug Bedarf gibt. Im Zentrum steht ein monolithischer Bau, der die Stadt aussperrt. Die städteplanerischen Prinzipien von Kleinteiligkeit und gemischter Nutzung, die bereits 1973 als paradigmatisch akzeptiert waren, sind erneut weitgehend missachtet worden. Die teilweise Wiederherstellung der Straßenmatrix und die Kultureinrichtungen auf dem Areal wirken wie ein Feigenblatt.

Hoffnung gibt es für das Viertel dennoch. Viele der seit dem 11. September leer stehenden Büros, zum Teil elegante Art-déco-Hochhäuser, wurden in Wohnraum umgewandelt. Im Umfeld entwickelt sich langsam ein lebendiger Bezirk. Das Leben im unteren Manhattan ist weitergegangen. Auch ohne die großen Städteplaner.