Der US-Versandhandelsgigant setzt offenbar eine Verlagsgruppe mit Lieferverzögerungen unter Druck. Die fragwürdige Praxis hat sich bereits in der Heimat von Amazon bewährt. Die Kunden haben das Nachsehen.

Stuttgart - Wer in diesen Tagen bei dem Versandhändler Amazon ein Buch bestellt, dem fällt wahrscheinlich gar nicht auf, dass dort derzeit ein Kampf stattfindet. Vielleicht ist der Kunde am Computerbildschirm irritiert, dass der Krimi von Nele Neuhaus, den er am Wochenende eigentlich ins Urlaubgepäck legen wollte, erst in sechs bis zehn Tagen lieferbar ist. Doch das kommt ja vor.

 

In der Tat mag das normalerweise vereinzelt vorkommen, doch bei den Verlagen unter dem Dach des schwedischen Konzerns Bonnier treten auf der Amazon-Seite seit rund zwei Wochen massiert verlängerte Lieferzeiten auf. In Deutschland gehören den Schweden unter anderem bekannte Verlage wie Ullstein, Piper, Berlin, Carlsen und die Stuttgarter Kinderbuchverlage Thienemann und Esslinger. Betroffen sind etliche Titel aus der sogenannten Backlist dieser Häuser. Unter der Backlist versteht man Titel, die nicht neu erschienen, aber noch lieferbar sind. Für diese Bücher fallen keine Marketing- oder Produktionskosten mehr an, sie verkaufen sich aber noch – mitunter sogar sehr gut – und sind also ein gutes Geschäft für die Verlage, bei dem sie empfindlich zu treffen sind.

Etliche Titel von Bonnier werden nur verzögert ausgeliefert

Bonnier selbst will sich zu den Anschuldigungen gegen Amazon nicht äußern, doch Stichproben im Internet zeigen sehr schnell: Etliche Backlist-Titel aus Bonnier-Verlagsprogrammen, etwa solche von Gaby Hauptmann bei Piper oder Nele-Neuhaus-Krimis bei Ullstein – haben zurzeit den Vermerk „Gewöhnlich versandfertig in 5 bis 10 Tagen“ oder gar länger. Das ist für Amazon ungewöhnlich – gängige Titel sind bei dem Online-Versandhändler wie auch bei den Grossisten des Buchhandels in der Regel „sofort lieferbar“.

Ein Zufall steckt offenbar auch nicht dahinter. Die FAZ hat kürzlich Siv Bublitz, Verlegerin von Ullstein, zitiert, wonach Amazon selbst erklärt habe, die verlängerten Lieferfristen stünden im Zusammenhang mit Konditionsverhandlungen zwischen Amazon und Bonnier. Von dem Internetgiganten selbst ist keine Stellungnahme zu erhalten – man bitte um Verständnis, dass der Konzern zu individuellen Verhandlungen mit Verlagen keine Auskunft geben könne, schreibt ein Sprecher lediglich.

Der renommierte Schweizer Literaturagent Peter Fritz aber weiß zu berichten, dass es um höhere Rabatte geht, die Amazon bei Bonnier herausschlagen will. Die Verlage selbst dürfen die Konditionen nicht nennen, doch Fritz weiß aus zahlreichen Gesprächen mit Verlegern und Autoren, dass die meisten Häusern Amazon bislang 30 Prozent Nachlass bei E-Books gewähren. Bei Printtiteln erhalten die Amerikaner – aber auch stationäre Buchhandelsketten wie Thalia oder Hugendubel – sogar 50 Prozent Nachlass. Genau dorthin will Amazon offenbar auch mit den Rabatten für die digitalen Ausgaben. Und da man E-Books nicht verzögert ausliefern kann, versucht Amazon offenbar über die Lieferfristen für die gedruckten Titel der Verlage Druck auszuüben. Literaturagent Fritz spricht sogar von Erpressung, die auch zu Lasten der Autoren gehe. Denn deren Honorar berechnet sich aus dem Verlagserlös, also dem Betrag, der nach den Rabatten übrig bleibt. Erhält Amazon statt 30 Prozent 50 Prozent Nachlass, sinkt damit der meist 25-prozentige Anteil der Autoren.

In den USA kann Amazon auch die Preise drücken

Genauso wie hierzulande Bonnier geht es in den USA übrigens schon seit ein paar Monaten dem fünftgrößten Verlagsimperium Hachette. Nur hat Amazon in den Vereinigten Staaten noch mehr Möglichkeiten, um Druck auszuüben. Dort verzögert der Händler nicht nur die Auslieferung von Titeln, sondern verändert auch deren Preise, was angesichts der Buchpreisbindung in Deutschland nicht möglich ist. In den USA aber, wo sich auch Bücher über den Preis verkaufen, hat eine Preiserhöhung fatale Folgen für die Verkäufe. Der US-Science-Fiction-Autor Michael Sullivan beispielsweise berichtet auf der Internetseite „Digital Book World“, dass der Absatz seiner bei Hachette verlegten Bücher um mehr als 50 Prozent gesunken ist, nachdem Amazon die Rabatte für die Printausgaben zurückgefahren und die Lieferzeiten für die Bücher erhöht hatte.

In Deutschland, so lauten Schätzungen, hat Amazon im Online-Versandbuchhandel einen Marktanteil von 60 bis 70 Prozent. Es gebe Verlage, so Fritz, die ein Drittel ihrer Umsätze nur mit den Amerikanern machten. Ignorieren kann man die unfeinen Avancen also nicht. Und auch wenn Amazons Vorgehen wettbewerbsrechtlich zweifelhaft ist, wird wohl kaum ein Verlag so leicht die juristische Keule schwingen – zu groß ist die Gefahr, einen der wichtigsten Kunden zu vergrätzen. Dennoch hofft Fritz, dass Bonnier standhaft bleibt, auch im Interesse der Autoren, die um ihre Einkünfte fürchten.