General Motors bezeichnet die Verkaufsgerüchte rund um die Konzerntochter Opel als reine Spekulation. Die Opelaner müssen weiter zittern.

Stuttgart - Es war natürlich Zufall, denn die Betriebsversammlung in Rüsselsheim war schon lange geplant. Dennoch erhofften sich die rund 6000 Beschäftigten von Opel, das ihr Chef Karl-Friedrich Stracke, die Gelegenheit nutzen würde, um die jüngsten Gerüchte über einen Verkauf durch General Motors (GM) aus der Welt zu räumen. Die Mitarbeiter wurden enttäuscht. Zwar lobte Stracke die Belegschaft für die "hervorragende Arbeit", die den Autohersteller wieder auf Erfolgskurs gebracht habe. Doch zu der Befürchtung, dass GM seine Tochter dennoch abstoßen wolle, wiederholte der Opel-Chef nur den Kommentar vom Vortag: Das sei reine Spekulation. "Warum hat er nicht gesagt, dass Opel nicht zum Verkauf steht", fragte ein Vertrauensmann der Arbeitnehmer hinterher. Auch Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz konnte nicht mehr Licht in das Dunkel bringen, weil er weder aus Detroit noch von GM-Europachef Nick Reilly klare Aussagen zu den Gerüchten bekommen hatte.

 

Franz hofft nun darauf, dass die deutsche Bundesregierung sich für das Unternehmen einsetzt und die Konzernzentrale in Detroit zu einem klaren Bekenntnis zu Opels Zukunft auffordert. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dies zugesagt - allerdings ließ ihr Regierungssprecher Steffen Seibert offen, ob sich die Kanzlerin bereits direkt an GM gewandt hat. Vermutlich jedoch würde auch sie nur die Antwort bekommen, die selbst gut vernetzte amerikanische Journalisten aus der Autostadt Detroit bisher bekommen haben: Es handele sich bei den Berichten um reine Spekulation. Ein klares Dementi höre sich anders an, schimpfen die Opelaner.

Der neue Astra soll zusätzlichen Schub bringen

Dabei hatte man bei Opel gerade das verloren gegangene Selbstbewusstsein zumindest ein gutes Stück zurück gewonnen. Der neue Chef Stracke war erst vor gut drei Wochen zu einem Treffen der "Nationalen Plattform Elektromobilität" in Berlin mit dem Opel Ampera vorgefahren und hatte von Opel als erstem europäischen Hersteller mit einem "voll alltagstauglichen Elektroauto" gesprochen. "Wir haben in den nächsten Jahren die einmalige Chance, mit unseren E-Autos Marktführer zu werden", hatte Stracke betont. Und auch unabhängig von diesem Auto läuft es für Opel so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr. In den ersten fünf Monaten verkaufte das Unternehmen mit 534.000 Autos rund 11,6 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, der Marktanteil liegt bei 6,3 Prozent, nach mageren 5,8 Prozent im Mai 2010. Die Auftragslage ist gut, im Stammwerk Rüsselsheim werden die Werksferien im Sommer verkürzt, Sonderschichten sind in fast allen Werken geplant, im August läuft der neue Astra an, der zusätzlichen Schub bringen soll. Auch bei der Restrukturierung, dem Abbau von insgesamt 8000 der einst 48.000 Arbeitsplätze läuft alles nach Plan, das Werk im belgischen Antwerpen wurde geschlossen, die Betriebsvereinbarung für den Stellenabbau in Bochum ist unter Dach und Fach. Allerdings kostet der Umbau immer noch Geld, so dass Opel in den ersten drei Monaten mit 400 Millionen Dollar in den roten Zahlen steckte. Erst für 2012 erwartet Stracke wieder Gewinn.

Branchenexperten halten es für unwahrscheinlich, dass GM seine Europa-Tochter loswerden will. Vor allem die Entwicklungsleistung der Ingenieure aus Rüsselsheim sei eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des gesamten Konzerns, meinen sie. Viele GM-Modelle bauen auf den Opel-Entwicklungen auf, das könne man nicht einfach ersetzen. Bei GM jedoch sitzt ein Finanzmann an der Konzernspitze. Dan Akerson hat bereits mehrfach deutlich gemacht, dass er ungeduldig wird wegen der langsamen Fortschritte in Europa. Für ihn sind die Wachstumsmärkte China, Russland und die Schwellen- und Entwicklungsländer. Dort, so meinen zumindest amerikanische Beobachter der Szene, könnte GM auch mit in Korea entwickelten Autos punkten. Vor allem aber verdient GM auf allen anderen Märkten inzwischen wieder Geld - nur in Europa nicht.

GM weist wieder Milliardengewinne auf

Nach der beispiellosen Stützungsaktion des amerikanischen Staates und der Rückkehr an die Börse weist GM schon wieder Milliardengewinne auf. Akerson will den Konzern von Amerika aus wieder zum größten Autobauer der Welt machen. Da könnten die Ambitionen der Rüsselsheimer stören, denn Stracke möchte die deutsche Traditionsmarke auf möglichst vielen Märkten der Welt verkaufen, in Russland, Argentinien, Indien oder auch China. Stracke weiß, dass er sich dabei mit den GM-Managern über jeden Schritt abstimmen muss. Möglicherweise aber haben die jetzt doch keine Lust mehr, auf deutsche Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen.

Die Höhen und Tiefen von GM und Opel

November 2008:General Motors (GM) gerät durch eine verfehlte Modellpolitik und die Finanzkrise in Geldnot.

April/Mai 2009: Die US-Regierung gibt Kredite von insgesamt sechs Milliarden Dollar.

Mai 2009: Der Verwaltungsrat von GM stimmt der Trennung von Opel zu. Das deutsche Unternehmen wird unter die Ägide einer Treuhand gestellt. Die Bundesregierung und GM einigen sich grundsätzlich auf den kanadischen Zulieferer Magna und die russische Sberbank als Käufer. Bund und Länder übernehmen eine 1,5 Milliarden Euro schwere Bürgschaft.

Juni 2009: General Motors meldet Insolvenz an.

Juli 2009: GM verlässt den Gläubigerschutz. Die US-Regierung rettet den Autobauer mit 50 Milliarden.

November 2009: Der GM-Verwaltungsrat entscheidet völlig überraschend, Opel nun doch nicht zu verkaufen, sondern allein zu sanieren.

Juni 2010: Opel zieht alle Anträge auf Staatsbürgschaften in Europa zurück. Die Sanierung soll nun konzernintern geregelt werden.

24. Januar 2011: Bei GM wächst die Ungeduld mit der defizitären Tochter Opel. GM-Strategiechef Stephen Girsky fordert, dass Opel schnellstmöglich wieder profitabel werden müsse.

24. Februar 2011: GM schreibt 2010 dank Sparanstrengungen und Schuldenabbau mit 4,7 Milliarden Dollar den ersten Gewinn seit 2004. Das Europageschäft mit Opel war 2010 mit einem Verlust von 1,8 Milliarden Dollar die einzige Region von GM mit roten Zahlen.

17. März 2011: General Motors wechselt völlig überraschend den Chef von Opel aus. Neuer Vorstandsvorsitzender in Rüsselsheim soll der bisherige Entwicklungschef des Detroiter Konzerns, Karl-Friedrich Stracke werden.

5. Mai 2011: GM verdreifacht dank der Erholung in den USA und einem starken Geschäft in China seinen Nettogewinn im ersten Quartal auf 3,2 Milliarden Dollar.

31 Mai 2011: Opel einigt sich nach monatelangen Verhandlungen auf ein Paket, um insgesamt 1200 Beschäftigten in Bochum ein freiwilliges Ausscheiden oder den Wechsel in ein anderes Werk von Opel zu versüßen.

9. Juni 2011: Zwei Jahre nach den Turbulenzen um einen möglichen Verkauf erwägt General Motors Medienberichten zufolge erneut, sich von der Rüsselsheimer Tochter zu trennen.