Versteht sich der Film auch als Gegengift zu den afroamerikanischen Gangsta-Klischees der Popkultur?
Ich bin mir natürlich bewusst, welche Erwartungen das Publikum bei einem solchen Film hat. Und ich bin selbst nicht frei von solchen Vorurteilen: Als Trevante Rhodes, der Chiron im Erwachsenenalter spielt, zum Casting kam, dachte ich allein von seiner imposanten physischen Erscheinung her, dass er nicht sensibel und verletzlich genug sei für diese Rolle. Aber er hat mir das Gegenteil bewiesen. Und ich dachte: Wenn das Publikum im Kino die gleiche Reise durchlebt, wie ich sie beim Casting gemacht habe, ist schon einiges gewonnen.
„Moonlight“ zeigt einen jungen afroamerikanischen Mann, der sich allmählich seiner eigenen Homosexualität bewusst wird. Haben Sie bei diesem Thema kontroversere Reaktionen erwartet?
Vor zehn Jahre hätten die Reaktionen sicher noch ganz anders ausgesehen. Aber drei Jahre nachdem der Supreme Court in den USA die gleichgeschlechtliche Ehe als Verfassungsrecht etablierte, hat sich die Stimmung im Land verändert. Wenn sich einer unwohl dabei fühlt, wenn zwei Männer auf der Straße Hand in Hand gehen, muss er sehen, wie er damit klar kommt, weil es immer mehr Menschen gibt, die das in der Öffentlichkeit tun.
Sehen Sie „Moonlight“ auch als Coming-Out-Film?
Tyrell, der hier ja seine eigene Lebensgeschichte verarbeitet, sagt, dass er sich in seiner Welt kein Coming-Out leisten konnte. Er wurde „Schwuchtel“ genannt, bevor er überhaupt wusste, was das bedeutet. Er sagt, dass ein Coming-Out ein Privileg ist, das ihm genommen wurde. In der Welt, in der wir aufgewachsen sind, ist Männlichkeit ein gut bewachter Garten. Und wenn sie einem von den anderen abgesprochen wird, hat man es sehr schwer.
Woher kommt diese rigide Vorstellung von Hypermaskulinität?
Die Geschichte der Schwarzen in den USA ist die Geschichte von Erniedrigung. Wir wurden nach Amerika als Sklaven gebracht. Deshalb war es notwendig, als wir unsere Freiheit bekamen, die eigene Männlichkeit stark herauszustellen. Wenn wir irgendeine Schwäche gezeigt hätten, hätte man uns die Freiheit wieder genommen. Die Idee der Maskulinität war für Schwarze in den USA lange Zeit eine Frage auf Leben und Tod.