Dem abstiegsbedrohten Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart muss die Angst genommen werden. Dazu ist uns jedes Mittel recht – sogar diese Kolumne, schreibt unser Kolumnist Oskar Beck.

Stuttgart - Christian Gentner, der Kapitän des VfB Stuttgart, hat dieser Tage glaubhaft erklärt: „So ein Abstiegskampf ist eine brutale nervliche Belastung.“

 

Wenn wir Gentner richtig verstehen, wirkt sich diese Angst im Nacken ungefähr so aus: Jeden Abend schaut er sicherheitshalber unters Bett, träumt danach im Halbschlaf von Fans, die mit gestrecktem Mittelfinger mit Bananen, Bierbechern und Bratwürsten werfen, und spätestens nachts um drei schreckt er schweißgebadet auf, steht senkrecht im Bett und kann zuschauen, wie ihm langsam die Haare ausfallen. Außerdem traut er sich tagsüber nur noch mit Perücke und falschen Wimpern aus dem Haus, und wenn ihn einer auf der Königstraße nach dem Weg fragt, zuckt er bedauernd mit den Schultern und sagt: „Ich heiße Erwin Waclawiak und komme aus Castrop-Rauxel.“

Gentner war zweimal Deutscher Meister, aber momentan kommt er sich vor wie zusammengestaucht auf Einsfünfzig, und auch zündende Durchhalteparolen wie Gas geben, Gras fressen, Arschbacken zusammenkneifen oder die alte Oli-Kahn-Parole „Wir brauchen Eier, Eier, Eier“ richten ihn nicht mehr wirklich auf. Überhaupt geht es dem ganzen VfB vor dem Spiel gegen Frankfurt am Samstag wie Tucholsky, als er dichtete: „Ich sehe diesem Tag mit einigen vollen Hosen entgegen.“

Comedyreifes Abwehrverhalten

Wozu fehlendes Selbstvertrauen führen kann, war zuletzt in Leverkusen zu besichtigen, beispielsweise bei den atemberaubenden Slapstickeinlagen vor dem 0:1. Selbstlos überließen sich sechs bis sieben VfB-Spieler im eigenen Strafraum gegenseitig den Ball nach dem Motto „Nimm du ihn, ich habe ihn sicher“, alle säbelten an dem runden Ding comedyreif vorbei, und wie früher bei „Dick und Doof“, wenn die sich die Schwarzwälder Kirschtorten um die Ohren schlugen, hat sich ein TV-Millionenpublikum auf die Schenkel geklopft, den Bauch gehalten, am Boden gewälzt und wiehernd den alten Rassistenwitz erzählt: Wie machen Schwaben warme Milch? Sie zünden die Kuh an.

Doch jetzt mal im Ernst: ist das Selbstvertrauen wirklich das Gelbe vom Ei?

Um den VfB und überhaupt alle zu beruhigen, die keines haben, wollen wir mit ein paar wahllos herausgegriffenen Schreckensbeispielen kurz einmal aufzeigen, wozu ein Übermaß an Selbstbewusstsein führen kann, und weil am Samstag die Eintracht kommt, fällt uns spontan der unvergessene Klaus Toppmöller ein. Der war als Frankfurter Trainer ein Senkrechtstarter in den 1990ern, kam im Erfolgsrausch kaum noch an einem Spiegel vorbei, ohne sich selbst zu grüßen, und böse Zungen berichten sogar von folgendem Dialog mit einem Fan. „Die drei größten Trainer“, himmelte der Verehrer ihn an, „sind für mich Udo Lattek, Ottmar Hitzfeld und Sie.“

„Wieso Hitzfeld?“, antwortete Klaus Toppmöller.

Selbst wenn die Geschichte nicht stimmt, ist sie zumindest sehr gut erfunden – aber auf jeden Fall ist Toppmöller, als er mit der Eintracht plötzlich Tabellenführer war und vor der Kamera lauthals mit einem „Bye, Bye, Bayern!“ prahlte, danach senkrecht abgestürzt.

Überwältigender Glaube an die eigene Unantastbarkeit

Womit wir beim FC Bayern sind. Auch der leidet nicht direkt an störenden Selbstzweifeln oder Minderwertigkeitskomplexen, und der Kabarettist Günter Grünwald hat dieses Selbstverständnis mal so umschrieben: „Was ist der Unterschied zwischen Uli Hoeneß und dem lieben Gott? Der liebe Gott weiß, dass er nicht Uli Hoeneß ist.“ Auch dessen überwältigender Glaube an die eigene Unantastbarkeit ging dann irgendwann als Schuss nach hinten los.

Tim Wiese dürfen wir nicht vergessen, unseren einstigen Nationaltorwart. „Rosa Panther“ nannte man ihn, wegen seines scharfen Trikots, und passend zu seinem prallen Selbstverständnis legte er sich nach und nach dicke Muckis, eine gut gegelte Frisur, ein Meerwasser-Aquarium und vier Modellflugzeuge zu, darunter zwei Minijets mit drei Meter Länge und zwei Meter Spannweite, die er auf einem Fliegerhorst in die Luft ließ. Erwähnt werden muss aber leider auch sein Champions-League-Abend anno 2006 in Turin: Werder war gegen Juventus so gut wie weiter, da gönnte der tollkühne Tim sich und der Galerie in der Schlussminute noch einen spektakulären Überroller, verlor dabei den Ball und Bremen war draußen – worauf sich der Selbstbewusste im Internet beschimpfen lassen musste als „aufgeblasener Vollprolet“.

Chuck Wepner und das Nachthemd für seine Frau

Fast um Kopf und Kragen hat das Selbstbewusstsein aber vor allem Charles („Chuck“) Wepner gebracht, dessen Tragödie sich nächste Woche zum 40. Mal jährt. Chuck boxte am 24. März 1975 gegen Muhammad Ali um die WM im Schwergewicht, und vor dem Kampf schenkte er seiner Frau ein atemberaubendes Nachthemd, verbunden mit dem betörenden Schwur: „Du wirst heute Nacht mit dem Weltmeister schlafen.“ Tatsächlich lag Ali plötzlich flach, mühsam rappelte der Größte sich hoch, und glückselig brüllte Wepner in der anschließenden Rundenpause seine Trainer an: „Lasst schon mal das Auto an, wir müssen zur Bank, wir sind reich!“ Doch dann wurde der Siegessichere leichtsinnig, ging böse k. o., und kleinlaut hat Chuck später verraten, wie ihn seine Frau im Hotel empfing. Im sexy Negligé saß sie auf der Bettkante und fragte: „Kommt Ali auf unser Zimmer – oder erwartet er mich in seinem?“

Zuviel Selbstvertrauen endet also als Schuss ins Knie, und wer diese Risiken und Nebenwirkungen scheut, sollte den Arzt oder Apotheker befragen und lieber die Heilkräuterkur mit Bachblüten ausprobieren. Diese Therapie fördert den inneren Frieden und den Glauben an sich selbst, wie man das nicht mehr erlebt hat, seit sich der legendäre „Braune Bomber“ Joe Louis zwei Stunden vor seinen schwersten Boxkämpfen in der Kabine seelenruhig aufs Ohr legte und sagte: „Weckt mich, wenn es brennt.“

Das ist das gesunde Selbstvertrauen, zu dem wir auch dem VfB in diesen heiklen Tagen nur raten können.