Nicht nur die Fußball-WM hat gezeigt: bei Pressekonferenzen sind die Antworten oft besser als das, was die Journalisten wissen wollen.

Stuttgart - Wie jeder weiß, haben wir Sportjournalisten einen Traumberuf, und am trefflichsten hat es Bernd Schuster erklärt. Der war als Spieler und Trainer ein Weltstar bei Real Madrid und meinte einmal fassungslos: „So einen privilegierten Job hätte ich auch gern – alles kritisieren zu dürfen, ohne von irgendetwas eine Ahnung zu haben.“

 

Man kann, weiß Gott, als Außenstehender neidisch werden auf unser Tun, für dessen Ausübung folgende Grundvoraussetzungen in aller Regel vollkommen reichen: Ein abgebrochenes Studium, eine peinliche Halbbildung und die richtige Antwort auf die Frage, ob ein Fußball rund oder eckig und aus Hartholz oder federleicht wie ein Luftballon ist – wer es weiß, darf mit Kugelschreiber, Notizblock und voller Begeisterung sofort losziehen und der Welt ungeniert den Sport erklären.

Mit angewinkelten Ellenbogen in der Pressekonferenz

Das wichtigste am modernen Fußball sind inzwischen die Pressekonferenzen, und weil der Andrang vor allem bei einer Weltmeisterschaft wie neulich in Brasilien immer größer wird, muss man sich als Berichterstatter mit angewinkelten Ellbogen einen Sitzplatz erkämpfen. Und dann geht es los, der Star nimmt Platz auf dem Podium, und wenn es beispielsweise Thomas Müller ist, sagt der zur Begrüßung einfach: „Mahlzeit“.

Prost Mahlzeit – da ahnt einer, was kommt.

Müller ist neulich prompt nicht enttäuscht worden, denn ziemlich schnell kam die alles entscheidende Frage: „Haben Sie hier im Mannschaftsquartier die Möglichkeit, zum Frisör zu gehen?“ Müller musterte den Neugierigen kurz, als ob der den Kopf nur zum Frisieren hat, und gab dann irgendeine Antwort, die aber auf jeden Fall besser war als die Frage.

Früher wäre die DRK-Notfallrettung gekommen

Vom Bundestrainer wollte kürzlich ein wissensdurstiger Kollege wissen: „Können Lahm und Schweinsteiger zusammen spielen?“ Jogi Löw verzog verblüfft das Gesicht, als wollte er sagen: Für eine solche Frage ist man früher von der DRK-Notfallrettung abgeholt und mit Blaulicht und Tatütata in die nächstbeste geschlossene Abteilung gefahren worden. Aber stattdessen gab Löw doch eine höfliche Antwort: „Also ich meine, die spielen beim FC Bayern seit zehn Jahren zusammen.“

Dieser Dialog erinnerte fast an die Anekdote, die der frühere Regierungssprecher Klaus Bölling in einer Talkshow erzählt hat. Als vor nicht allzu langer Zeit nochmal ein Buch über die 1990 verstorbene SPD-Legende Herbert Wehner herauskam, rief die Reporterin eines Privatsenders im Willy-Brandt-Haus an und sagte: „Ich möchte mit Herrn Wehner ein Interview machen.“ Als der Mann am anderen Ende der Leitung sich wieder halbwegs im Griff hatte, entgegnete er: „Tut mir leid, Herr Wehner ist gerade in einem wichtigen Gespräch mit Franz-Josef Strauß, da kann ich nicht stören.“ – „Okay“, meinte darauf die Reporterin, „dann rufe ich später noch einmal an.“

Ganz so schlimm ist es mit uns Sportreportern noch nicht. Wir wissen, wer tot ist – das Problem ist eher: Was frage ich die Lebenden?

„Papi, du warst heute wieder im Fernsehen“

Seit solche Fußballpressekonferenzen immer öfter auch noch live übertragen werden, hat man bei mancher Frage den Eindruck, dass es gar nicht so sehr um die Antwort geht, sondern eher darum, dass beim anschließenden Telefonat mit den Lieben daheim das Töchterchen kräht: „Papi, Du warst heute wieder im Fernsehen!“ Es gibt die immergleichen Kollegen, die aufgeregt mit dem Finger schnalzen, und der Moderator auf dem Podium sagt dann ungefähr: „Eugen Zipfelhuber von der Bäckerblume“, oder: „Erwin Hugendubel vom Tiefsee-Anzeiger.“ Diese ständigen, treuen Frager stehen sichtlich unter dem Druck eines Chefredakteurs, der in der Heimatredaktion täglich ins Telefon ruft: „Frag’ irgendwas, Hauptsache wir werden öffentlich erwähnt.“

Ausbaden müssen es die Spieler. Wobei die in aller Regel schon früh in der Karriere wissen, was auf sie zukommt, denn sie gehen durch das Stahlbad des Fernsehens – unvergesslich bleibt der Länderspielabend, an dem ein ARD-Interviewer nach dem Schlusspfiff loslegte: „Marcell Janssen, wie war das, als Sie die Hymne gehört haben, haben Sie ein bisschen die Hosen voll gehabt?“

„Ich bin nicht Marcell Jansen“, antwortete Per Mertesacker.

Mertesacker, die deutsche Eiche im Sperrfeuer

Janssen hat inzwischen kapituliert, er ist nicht mehr dabei, aber umso tapferer stellt sich Mertesacker nach hundert Länderspielen wie eine deutsche Eiche ins Sperrfeuer und gibt druckreife und intelligente Antworten, die in aller Regel besser sind als die Fragen.

In allen Sprachen wird auf internationalen Pressekonferenzen übrigens inzwischen gebohrt, und es gibt deshalb neuerdings Übersetzerkabinen, damit die Spieler oder Trainer nicht falsch verstanden werden. Sowas kann uns Fußballjournalisten nämlich auch leicht einmal passieren, es gibt da einen legendären Vorfall, den wir allerdings weitgehend auf Englisch nacherzählen müssen. Der Nationaltrainer von Wales lobte seinerzeit seine Starstürmer Ian Rush und Mark Hughes in einer Pressekonferenz mit den Worten: „Rush an’ Hughes are some of the best attackers in the world.“ Worauf ihn anderntags ein finnischer Reporter so zitierte: „Russische Juden sind mit die besten Stürmer der Welt.“

Dolmetscher machen die Fragen nicht besser

Um solche Missverständnisse zu vermeiden, wird im heutigen Fußball alles übersetzt, aber dummerweise werden die Fragen auch durchs Dolmetschen nicht automatisch besser – die letzte richtig gute, die von einem Reporter an einen deutschen Nationalspieler gestellt worden ist, war die an Mike Hanke: „Sagen Sie mal, ist das Ihre Zunge, die Ihnen aus dem Hals raushängt, oder eine Krawatte?“

Aber das ist lang her.