König Sport regiert die Welt – und lässt die Politik mit Boykott- und Extrawünschen verstärkt an sich abprallen. Denn der Sport hat längst die größere Show zu bieten, weiß der StZ-Sportkolumnist Oskar Beck.

Stuttgart - Im Auftrag des Sports zeigt König Fußball den Politikern zur Zeit ihre Grenzen auf – und macht ihnen klar, wer wirklich die Welt regiert.

 

Fall eins: Sepp Blatter und seine Fifa denken nicht daran, die Eskalation in der Ukraine nach dem Abschuss eines Passagierflugzeugs durch prorussische Separatisten mit dem Entzug der russischen WM 2018 zu beantworten. Stattdessen wird der Politik fast therapeutisch beigebracht, zur Lösung ihrer Probleme eigene Wege zu finden.

Fall zwei: Die Bremer SPD-Regierung kündigte selbstbewusst an, den bezahlten Fußball künftig an den Kosten für Polizeieinsätze im und am Weserstadion zu beteiligen. Darauf verlegt der DFB das nahende WM-Qualifikationsspiel gegen Gibraltar auf der Stelle nach Nürnberg.

Fall drei: Die argentinischen Vizeweltmeister wurden dieser Tage von der Fifa mit einer Geldstrafe von 25 500 Euro belegt, weil sie bei einem Länderspiel ein Transparent mit der Aufschrift „Die Falkland-Inseln gehören Argentinien“ in die Kameras hielten – für diese besitzergreifende These gibt es zwar durchaus gute juristische Argumente, aber auf dem Sportplatz, findet Sepp Blatter, hat sie nichts zu suchen.

Basta.

Die Politiker können einpacken, woran sich viele nur langsam gewöhnen. Björn Tschöpe von der Bremer SPD unterstellt dem DFB fuchsteufelswild, „eine demokratisch legitimierte Regierung mit dem Entzug von Sportveranstaltungen erpressen zu wollen“. Das klingt zündend, und wenn Deutschland im vogelwilden WM-Achtelfinale gegen Algerien in der ersten halben Stunde drei Stück gekriegt und sich mit Schimpf und Schande aus Brasilien verabschiedet hätte, wären die Bremer Regierenden jetzt fein heraus. Es ist aber anders gekommen, die Bremer Fans dürfen die Weltmeister nicht bejubeln, und zur Strafe empfiehlt Werder-Trainer Robin Dutt dem mündigen Wahlbürger: „Muss man halt das Kreuz woanders setzen nächstes Mal.“ So schießen sich Politiker mitunter ins Knie, wenn sie sich mit dem Sport anlegen – jedenfalls ist das Wasser auf die Mühlen derer, die schon immer fanden, dass man den Sport nicht der Politik überlassen darf.

Die Fifa und ihre Macht des Guten

Seit der Hauch des Kalten Kriegs wieder durch die Hintertür weht, verfällt die Politik in die alten Denkstrukturen. Ein WM-Entzug als drastische Strafmaßnahme gegen die Russen wird jeden Tag beliebter – unabhängig voneinander haben am Wochenende der CSU-Chef Horst Seehofer in der „Welt“ und der stellvertretende britische Premierminister Nick Clegg in der „Sunday Times“ eine WM unter Putin unter den gegebenen Umständen für „unvorstellbar“ erklärt. Unvorstellbar? An dem Punkt schüttelt die Fifa fast gelangweilt eine kurze Pressemitteilung aus dem Ärmel, hören wir kurz rein: „Wir haben gesehen, dass die WM eine Macht des Guten sein kann, und wir glauben, dass dies auch 2018 in Russland der Fall sein wird.“

Mit weniger Pathos im Gutmenschenvortrag macht es Sepp Blatter nur ungern, aber hat er Unrecht mit seiner These, dass der Boykott von Sportveranstaltungen oder die Politik der Isolation und Konfrontation nie der effektivste Weg war, um Probleme zu lösen? „Ein Boykott geht nur zulasten der Sportler und der Menschen vor Ort“, weiß der CDU-Bundestagsabgeordnete Eberhard Gienger, der als bester Reckturner der Welt dem Olympiaboykott 1980 in Moskau zum Opfer fiel. Auch der Gegenboykott von Los Angeles 1984 machte die Welt nicht sicherer. Der Sport ließ sich instrumentalisieren als politischer Blindgänger und Marionette der Machthaber.

So mancher Athlet sah damals aus, als ob er nicht bis drei zählen kann – niederträchtig ließen die Kabarettisten der Münchner Lach- und Schießgesellschaft in den 70ern einen Fußballstar sogar einmal sagen: „Ich wähle die CDU, weil sie mit Willy Brandt den besseren Kanzlerkandidaten hat.“ Inzwischen ist es umgekehrt: Viele Sportler sind die besseren Politiker. Vitali Klitschko erntete für seine mannhaften Reden auf dem Maidanplatz in Kiew Begeisterungsstürme, die sich decken mit der schon von Norman Mailer („Die Nackten und die Toten“) ausformulierten Erkenntnis: „Der Boxweltmeister im Schwergewicht ist der große Zeh Gottes.“

In Moskau wirkt der Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow als Oppositionsaktivist, der Torjäger Didier Drogba will einmal Staatspräsident der Elfenbeinküste werden, und hat nicht der Bodybuilder Schwarzenegger Kalifornien regiert? Der NBA-Basketballkönig Dennis Rodman hat es immerhin zum Hofnarren bei seinem nordkoreanischen Kumpel Kim Yong Un geschafft – und zu einem TV-Werbespot für Erdnüsse, in dem er neben einem Doppelgänger von Kim sitzt und sagt: „Das Geheimnis des Weltfriedens sind Pistazien!“ Kim drückt darauf auf einen Knopf am Stuhl, und Rodman endet als Stichflamme im atomaren Getöse.

Matthäus taugt vielleicht sogar zum Sportminister

Sogar Lothar Matthäus wäre ja fast Politiker geworden. Unvergessen ist das Telefonat, als die Bayrische Staatskanzlei ihn anrief und fragte, ob er sich vorstellen könne, unter einem Bundeskanzler Stoiber das Sportministerium zu übernehmen, worauf der Exweltmeister ungefähr entgegnete: „Erstens ist das eine große Ehre für mich, und zweitens bin ich sowieso ein ganz großer Fan vom Ministerpräsidenten.“ Um ein Haar hätte die Welt ihre größte Sensation erlebt, seit der römische Kaiser Caligula sein Pferd zum Konsul ernannte – geklappt hat es am Ende vermutlich nur deshalb nicht, weil sich der Anrufer aus Stoibers Staatskanzlei am Ende als Witzbold eines Radiosenders entpuppte.

Der Sport ist selbstbewusst wie noch nie. Und vor allem der Fußball weiß, dass er längst eine größere Show als die Politik ist, denn bei keiner Politiker-Party würden sich auf der Fan-Meile freiwillig eine halbe Million Menschen einfinden, und Angela Merkel darf bei Länderspielen zwar auf der Tribüne noch wie entfesselt tanzen, hält sich in der Kabine der deutschen Mannschaft inzwischen aber etwas zurück – jedenfalls muss Mesut Özil keine Angst mehr haben, dass die Kanzlerin samt Fotograf direkt vor ihm steht, wenn er aus der Dusche kommt, bekleidet nur mit einem glitschigen Stück Seife.

Der Fußball hat die Politik im Sack. Soviel ist spätestens klar, seit unser weit gereister Außenminister Frank-Walter Steinmeier über die Entzugsdebatten bezüglich der WM 2018 sagt: „Das ist an den Haaren herbeigezogen“. Da redet der Fußballer – denn als Spielmacher bei TuS Brakelsiek hat Steinmeier einst begriffen: „Überblick behalten, Chancen erkennen.“

Der zeitgemäße Politiker lernt vom Sport.