Die Saison ist entschieden, bevor sie begonnen hat: Bayern wird Meister, sagen die Sachverständigen. Und warum wissen die das?

Stuttgart - Der Auftakt der neuen Bundesligasaison wirft seine Schatten voraus, und nach dem repräsentativen Befragen der bekanntesten und unbestechlichsten Experten des Landes ergibt sich vor dem Hintergrund ihrer bombensicheren Voraussagen als erste demoskopische Hochrechnung: der FC Bayern wird Meister.

 

Darauf muss man erst kommen.

Aber dafür haben wir ja die Experten, und zwar jeden Tag mehr. In Schwärmen kreisen diese Sachverständigen wie die Heuschrecken über dem Gras der Stadien, alte Kanonen aller Art helfen uns auf die Sprünge, prüfen den Luftdruck im Ball und analysieren und erläutern mit bedeutungsschweren Gesichtern und Raum füllenden Floskeln, was uns blutigen Laien verborgen bleibt - anlässlich der Auslosung der Qualifikationsgruppen für die WM 2014 in Rio haben wir am Wochenende aus diversen Gelehrtenmündern sogar schon eine schlüssige Antwort auf die Frage erhalten, wer in drei Jahren Weltmeister wird: Brasilien. Andere sind überzeugt: Sebastian Vettel wird wieder Formel-1-Weltmeister.

Woher wissen die das alles?

Wir ahnungslosen Flachlandtiroler haben keine blasse Ahnung von der zermürbenden Vorarbeit, die sich hinter dem Wissen eines Experten verbirgt - in unserer Schlichtheit stellen wir uns vor, dass da einer durch die Glaskugel blickt, Karten legt, aus dem Kaffeesatz liest, auf Hokuspokus macht oder einfach nur heiße Luft ablässt.

Allein damit gewinnt ein Experte heutzutage keinen Blumentopf mehr. Wir Ahnungslosen werden immer schleckiger, wir wollen wissen, was Sache ist, wir erwarten verlässliche Aussagen - mit einem schwammigen "Schau'n mer mal" ist es nicht mehr getan, und damit selbst der Letzte nicht im Dunkeln tappt und mit der Stange im Nebel stochert, erklärt uns beispielsweise der "Bild"-Serientäter Mario Basler sein Vorsaisongutachten seit Wochen nicht nur in Wort und Bild, sondern vergibt sein Urteil in Form von Bällen, damit es jeder versteht. Vermutlich brütet er Tag und Nacht über seinen Expertisen, telefoniert sich beim Recherchieren die Ohren wund, rauft sich die Haare und kämpft unter dem Druck der Verantwortung mit Schlafstörungen und Gewissensbissen. Paul, die Krake, ist an diesem Stress gestorben.

Paul war der Beste

Bei der letzten WM hat er so gut wie alles gewusst, man hat sich die Spiele gar nicht mehr anschauen müssen - und seine Prognosen waren Wasser auf die Mühlen jener bösen Zungen, die schon immer behauptet haben, dass man die besseren Experten in der Wilhelma findet. Wissenschaftler baten einmal zum Experiment: Sie ließen Börsenexperten ein Wertpapierdepot aufbauen, und anschließend stellten sie ein paar Affen vor eine Wand, die ihre Aktienauswahl trafen, indem sie mit Dartpfeilen darauf warfen - die Wertentwicklung war hinterher ungefähr dieselbe. 

Schon seit Griechenland anno 2004 Fußball-Europameister wurde, sind sowieso viele der Meinung, dass man die Fachsimpeleien nicht den Simpeln vom Fach, sondern den Schimpansen überlassen sollte. Oder letztes Jahr, da war vor der Saison allen Experten klar, dass Mirko Slomka als erster Trainer gefeuert würde - der Wackeltrainer hat sich aber prompt als Wundertrainer entpuppt. Oder ganz früher, da wusste der Ex-Bundestrainer Jupp Derwall über den jungen Olli Kahn ohne Wenn und Aber: "Das wird keiner" - noch mutiger in ihrer Vorhersage war höchstens die Tante von John Lennon, die den musikverliebten Buben einst großzog und ihn warnte: "Vom Gitarrespielen, mein Junge, kannst du nicht leben."

"Ich verbrenne mir nicht die Finger, ich habe mir schon die Ohren verbrannt."

Man kann über die Experten sagen, was man will, aber beeindruckend ist ihr Mut zum tollkühnen Irrtum. Sie könnten es sich leicht machen wie Niki Lauda ("Ich verbrenne mir nicht die Finger, ich habe mir schon die Ohren verbrannt"), aber es gehört nun einmal zu den unangenehmen Aufgaben des Propheten, nicht die Augen zu verschließen vor der Zukunft, und deshalb stellen sie sich ihrer Verantwortung - und erklären uns vor dem Anpfiff detailliert, warum es so und so kommen wird, und nach dem Schlusspfiff noch viel überzeugender, warum das Gegenteil eingetreten ist.

Jedenfalls begegnen wir so vielen Expertisen und Gegenexpertisen, dass sich jeder die passende aussuchen kann. Das ist beim Fußball inzwischen wie bei Stuttgart 21, wo auf drei Experten sechs Meinungen kommen. Man wackelt als Außenstehender mit den Ohren und versteht nur noch Bahnhof, denn ein Sachverständiger widerlegt den anderen, und wenn das nicht aufhört, meldet sich demnächst auch noch Sportsfreund B. als Bahnhofsexperte zu Wort, denn in den 50er Jahren hat er als Bub zum Geburtstag eine Schnellzuglokomotive F 800 von Märklin gekriegt, mit Bahnhof - er kann also mitreden und würde als Experte die Kapelle auf dem Rotenberg umbauen lassen zu einem sechsstöckigen Durchgangsbahnhof, der auf Stelzen steht, so dass keinerlei Grundwasser abgepumpt werden muss, und die Züge sollte man senkrecht ein- und ausfahren lassen, das wäre alles narrensicher.

Gutachten sind teuer

Ein Gutachten wird gerne nachgereicht - und über das Honorar lässt sich reden, obwohl man als Experte ja normalerweise kein billiger Jakob ist. Die teuersten sind die im Fußball. Sie sind im Grunde sogar unbezahlbar, weil sie uns mit ihrem Herrschaftswissen die Abgründe und Hintergründe durchleuchten und uns schon vor der Saison sagen, dass die Bayern Meister werden und der Ball rund und das Gras grün bleibt.