Wenn gegen das Leiden kein Kraut mehr gewachsen scheint, beginnt die Arbeit der Ärzte am Zentrum für Schmerztherapie der Medius-Kliniken. Mit Stromimpulsen aus dem Schmerzschrittmacher knipsen sie den Schmerz aus.

Nürtingen/Ostfildern - Die Medius-Kliniken im Landkreis Esslingen haben mit ihrem neuen Zentrum für Schmerztherapie offensichtlich einen Nerv getroffen. „Wir werden überrannt von verzweifelten Menschen, die bei uns Hilfe suchen“, sagt Torsten Schröder, der Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Operative Intensivmedizin. Fach- und standortübergreifend behandeln er und seine Kollegen, die beiden Oberärzte Klaus Kohlhammer (Nürtingen) und Michael Kiehlmann (Ostfildern), Patienten, die oft einen jahrelangen Leidensweg hinter sich haben.

 

Dem Leiter der Ostfilderner Medius-Klinik, Sebastian Krupp, ist in der Region nur noch die Universitätsklinik Tübingen bekannt, die ein vergleichbares Zentrum unterhält. Wie dort, so seien auch die meisten der bundesweit rund 50 nach dem gleichen Prinzip arbeitenden Einheiten an einem Universitätsstandort angegliedert.

Wenn der Schmerz selbst zur Krankheit wird

Sie sind die letzte Hoffnung für Menschen, gegen deren Schmerzen kein Kraut gewachsen ist. „Wir arbeiten mit Patienten, denen von den Ärzten gesagt worden ist, dass ihnen nicht mehr zu helfen ist“, sagt Kiehlmann. Wenn der Schmerz in der Hand, im Rücken oder am Knie sich losgelöst von der Ursache als eigene Krankheit verselbstständigt hat, dann ist der interdisziplinäre Ansatz des Zentrums für Schmerztherapie gefragt.

Erster Anlaufpunkt ist die Schmerzambulanz in der Medius-Klinik Nürtingen. Dort kümmern sich Therapeuten und Ärzte in engem Schulterschluss um den Patienten. Greift auch das unter der Leitung des Oberarztes Klaus Kohlhammer geschnürte Maßnahmenbündel von physiotherapeutischen, psychologischen und medikamentösen Behandlungsansätzen nicht, dann ruhen die letzten Hoffnungen auf dem Einsatz eines Schmerzschrittmachers. Das ist, analog zum schon zum medizinischen Standard gehörenden Herzschrittmacher, ein Impulsgeber, der mit seinem über eine Elektrode ausgesandten elektrischen Reiz das von dem geschädigten Nerv ausgehende Schmerzsignal blockiert oder zumindest überdeckt.

Der Erfolg, den an den Medius-Kliniken pro Jahr rund 50 Patienten am eigenen Leib erfahren dürfen, ist durchschlagend. „Schmerzen, die im Verbreitungsgebiet eines großen Nervs, wie beispielsweise im Knie, am Fuß oder an der Leiste entstehen, können wir so häufig ganz ausknipsen“, sagt Michael Kiehlmann, der die operativen Eingriffe am Medius-Standort Ostfildern-Ruit vornimmt.

Den Dauerschmerz gegen Kribbeln eingetauscht

Schwieriger wird es, wenn das Schmerzzentrum direkt in der Wirbelsäule sitzt. Dann wird die Sonde parallel zum Rückenmark an die zuvor über eine Injektion als Ursache des Übels lokalisierte Nervenwurzel geführt. „Mit Hilfe des Patienten bewegen wir die Sonde in der Wirbelsäule so lange hin und her, bis das Kribbeln, das von ihren hochfrequenten Stromimpulsen auslöst wird, sich mit dem Schmerzgefühl deckt“, sagt Kiehlmann.

Meldet der Patient statt des zuvor kaum erträglichen Schmerzes im Idealfall nur noch ein leichtes Taubheitsgefühl zurück, dann liegt die Sonde an der richtigen Stelle. Lässt sich der Schmerz nach sieben Tagen immer noch per Knopfdruck ausschalten, dann wird der Schmerzschrittmacher eingepflanzt. Der dann knapp über dem Gesäß unter die Haut implantierte Impulsgeber hat die Größe einer Streichholzschachtel und kann von außen durch die Haut induktiv aufgeladen werden.

„Das geht, vergleichbar mit einem Handy, alle drei Tage – entweder zwei Stunden auf dem Sofa, aber zur Not auch, mit Hilfe eines Spezialgürtels, über Nacht im Schlaf“, sagt Kiehlmann. In der Regel senken Sonde und Schmerzschrittmacher den Schmerz auf mindestens die Hälfte. Das lässt sich nicht nur auf der visuellen Analogskala nachweisen – auf der der Patient sein Schmerzempfinden per Selbsteinschätzung anhand von Smileys festlegt –, sondern lässt sich auch an objektiven Kriterien messen.

Halber Schmerz, doppelte Lebensqualität

„Wir sind noch immer ganz begeistert, wenn wir sehen, dass ein zuvor vor Schmerz beinahe gehunfähiger Patient wieder zwei und mehr Kilometer am Stück gehen kann“, sagt Schröder, auch im Namen seiner Kollegen. Trotz aller Erfolge: „Völlige Schmerzfreiheit ist eine Erwartung, die wir nicht erfüllen können“, schränkt der Chefarzt ein. Allerdings bedeute eine Halbierung des Schmerzes bei Patienten, die über Jahre hinweg Operation auf Operation, Therapie auf Therapie durchlitten haben, mehr als eine Verdoppelung der Lebensqualität.

Ein Schlüssel für das Gelingen der Behandlung sei es auch, die „richtigen Patienten“ herauszufinden. Ein Teil der Schmerzpatienten müsste wieder an die Ursachenbehandlung zurückverwiesen werden. Menschen, deren Schmerzen nicht einzugrenzen sind, sondern auf den ganzen Körper ausstrahlen, sprechen auf den lokalen Therapieansatz ebenfalls nicht an.