Die Sonderbotschafterin der OSZE in der Ukraine, Heidi Tagliavini, gibt auf. Das bedeutet für die Kiewer Gespräche nichts Gutes. Nun wird befürchtet, dass die Eskalation in der Ostukraine weiter zunimmt.

Kiew - Das Friedensabkommen von Minsk steht auf der Kippe. Am Wochenende wurde bekannt, dass die Ukraine-Beauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Heidi Tagliavini, ihr Amt niederlegt. In der Ukraine und in Russland ließ der Rücktritt die Sorge wachsen, dass eine diplomatische Lösung für die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ost-Ukraine in immer weitere Ferne rückt.   Obwohl die Gespräche der so genannten Trilateralen Kontaktgruppe unter OSZE-Führung in den vergangenen Wochen immer mehr ins Stocken geraten waren, kam der Rücktritt Tagliavinis nun doch überraschend. Die erfahrene Diplomatin und Russlandexpertin hatte vor einem Jahr die Verhandlungen der Konfliktparteien Russland, Ukraine und ost-ukrainische Separatisten aus Lugansk und Donezk geleitet.

 

Gründe für ihren Rückzug sind bisher noch nicht bekannt gemacht worden.   In der Ukraine wird das Ausscheiden Tagliavinis als ein „Schachzug Russlands“ bewertet. Offenbar will sich auch die russische Seite aus den Gesprächen verabschieden, berichten ukrainische Medien. Ein solches Szenario hätte zur Folge, dass die Ukraine und die Separatisten offiziell ohne russische Beteiligung eine Lösung für den Konflikt finden müssten.  

Weitere Eskalation in der Ostukraine befürchtet

Während Tagliavini von Moskau als Unterhändlerin voll akzeptiert worden war, hatten die Ukrainer Bedenken, weil die Schweizer Topdiplomatin 2008 den Abschlussbericht zum Krieg zwischen Georgien und Russland zu verantworten hatte. Das Papier wird von Experten so interpretiert, dass Russland von der Schuld am Ausbruch der Kampfhandlungen freigesprochen worden ist.

  Auf den Amtsverzicht Tagliavinis reagierte Kiew am Wochenende jedoch verhalten. Die Änderung an der Spitze der Kontakt-Gruppe könne zu einer „Verlangsamung des Dialogs der Minsker Gespräche führen“, zitiert die Nachrichtenagentur Interfax Alexej Makejew, den Leiter der politischen Abteilung des Außenministeriums der Ukraine. Wer die 64-jährige Tagliavini ersetzt und ob sie an der nächsten Sitzung der Kontakt-Gruppe am 16. Juni in Minsk noch einmal teilnehmen wird, ist ebenfalls unklar.   Jörg Forbrig, den Programm-Direktor beim German Marshall Fund, zitiert die Nachrichtenagentur Bloomberg mit den Worten, der Rücktritt Tagliavinis spiegele „die wachsende Frustration“ und sei „ein weiteres Zeichen dafür, dass der Friedensprozess tot ist“. Forbrig kommt zu dem Schluss: „Wir werden in diesem Sommer eine weitere Eskalation der Gewalt in der Ost-Ukraine erleben.“

Die Chancen für Frieden sind kleiner geworden

  Deutliche Worte fand man auch in Moskau. Dmitrij Peskow, der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, gab nach einem Bericht von Radio Liberty zu, dass mit dem Ausscheiden Tagliavinis die „Chancen einer Umsetzung des Minsker Abkommens immer kleiner werden“. Zudem würden die Verletzung des Waffenstillstands und das damit verbundene Aufflammen immer neuer Kämpfe in der Ost-Ukraine wachsende Zweifel aufkommen lassen, ob die Vereinbarungen vom 15. Februar tatsächlich realisiert werden könnten.

  Heidi Tagliavini war im Juni vergangenen Jahres zur Ukraine-Beauftragten der OSZE ernannt worden. Die Schweiz führte 2014 turnusgemäß die Organisation an. Die in Basel geborene Tagliavini hat in Genf und Moskau Slawistik studiert und gilt in Russland als „beste Diplomatin der Schweiz“. Unter ihrer Führung hatte es im September 2014 eine Einigung über eine erste Waffenruhe in der Ost-Ukraine gegeben. Als Mitte Februar 2015 auf Initiative von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande nach 17-stündigem Verhandlungsmarathon alle Konfliktparteien die Vereinbarungen von Minsk unterschrieben hatten, keimte bei vielen Beobachtern die Hoffnung auf, dass es eine dauerhafte Waffenruhe im Donbass geben könnte. Eine Hoffnung, die derzeit schwindet.