Die Show von Otto Waalkes besteht aus lang eingeübten Ritualen. Diese hat er im Stuttgarter Beethovensaal wieder gezeigt.

Stuttgart - Irgendwann gegen Ende seines Programms parodiert Otto Waalkes deutsche Popstars. Gibt also den Peter Maffay, rappt den Herbert Grönemeyer, schlurft den Udo Lindenberg und zappelt den Mario Barth, der ja gar keine Musik macht, sondern in den letzten Jahren allein mit Worten in die Riege der Großhallen-Popstars aufgestiegen ist. Dass es den Comedian als Popstar überhaupt gibt, ist nicht zuletzt Ottos Verdienst, der seine seltsam wahnsinnige Art von Comedy schon abgefeuert hat, ehe die Genrebezeichnung für vordergründig unpolitische Spaßmacher im deutschen Sprachraum gebräuchlich wurde. Seit knapp vierzig Jahren steht der 62-jährige Ostfriese mit dem schütterem Haar auf der Bühne. "Ich bin geboren, um zu blödeln", singt er im Stuttgarter Beethovensaal. Früher, als von Comedy noch nicht die Rede war, nannte man ihn den Blödelotto.

Natürlich blödelt er immer noch – auch in Stuttgart. Da spielt er beispielsweise Englischstunde und übersetzt "to go online" mit "auf den Strich gehen". Überhaupt biegt er Worte gerne Richtung Aberwitz. Ein Satz mit "imposant"? "Hast Du im Po Sand, entfern ihn mit der Hand." Die Späße unterhalb der Gürtellinie macht er aus Prinzip: Niemand, auch die Comedians neuen Typs nicht, präsentiert sich derart entschlossen und offensiv pubertär wie das Original aus Emden. Wenn künstlerischer Erfolg daran gemessen würde, wie erfolgreich sich jemand auf einer Bühne gegen das Erwachsenwerden stemmt, wäre Otto Waalkes stets der Sieger.

Wer Otto kauft, weiß was ihn erwartet


Jenseits der Bühne freilich war Otto Waalkes schon Anfang der siebziger Jahre höchst erwachsen, als andere noch gewagt davon träumten, dass Luft und Liebe zum Leben reichen könnten: Bereits sein erstes Album "Otto" erschien 1972 auf seinem eigenen Label "Rüssl Räckords", und seine aktuelle Deutschland-Tournee veranstaltet wieder der Otto-eigene Rüssl Musikverlag. Der Auftritt selbst ist nur Teil einer Wertschöpfungskette, deren letztes Glied Otto schon zu Zeiten selbst in der Hand hielt, als noch nicht jede bessere Punkband auf die Idee gekommen war, ihre eigene Plattenfirma zu gründen. Kurz vor der Pause – ein alter Gag ist das – wirft er ein paar Plüsch-Ottifanten in eine euphorisch gestimmte und extra zur Bühne bestellte Kindermenge. Wer leer ausgeht, darf hinterher die Mama und den Papa überzeugen, am Merchandising-Stand einen dieser Ottifanten zu erstehen. Oder eine lustige Mütze, einen Regenschirm oder ein T-Shirt.

Die Synthese aus Kunst und Kommerz, aus Pubertät und praktischer Geldvermehrung hat schon vor Jahren zu einer Ritualisierung der Otto-Shows geführt, die in der Unterhaltungsbranche nach wie vor einzigartig ist. Das beginnt bei der Begrüßungsformel "Hallo Stuttgart", auf die das Publikum vielstimmig mit "Hallo Otto" antwortet, das zieht sich über all die Schlager und Popsongs mit mehr oder weniger komischen Texten, bei denen das Publikum seinen Einsatz ganz genau kennt. Das geht bis zur abgedrifteten Version von "Highway to Hell": Otto Waalkes zelebriert das, was man gemeinhin Kult nennt, mit einer beachtlichen Überzeugungskraft, die ihn vor der Notwendigkeit bewahrt, allzu viel Neues auszutüfteln. Wer Otto kauft, weiß, was ihn erwartet. Und das bekommt er auch: die Grimassen, die Glatze unter der Mütze, das Kasperltheater mit Harry Hirsch und die Hänsel-und-Gretel-Geschichte. Otto ist und bleibt der Zeremonienmeister eines nicht endenwollenden Kindergeburtstages, zu dem sich auch eine Menge Erwachsene eingeladen haben.

Instrumentale Fähigkeiten flackern nur kurz auf


Dass Teile seiner Kunst bei Ottos Lebensrolle untergehen, scheint beabsichtigt, ist schade, ist aber gleichzeitig wahrscheinlich ein wesentlicher Bestandteil seiner nicht zu unterschätzenden Subversivität: Wenn Otto, ein sehr versierter Gitarrist, seine instrumentalen Fähigkeiten immer nur geschwind aufflackern lässt, um dann wieder beiläufig zu schrammeln, dann sagt das mehr über seine Wertschätzung des Nonsense aus als manche theoretische Abhandlung. Wenn Otto, ein virtuoser Extrem-Mime, sich immer auf drei, vier Gefühle beschränkt, ist das auch ein Statement wider die Verkomplizierung. So spielt er also an zwei Abenden hintereinander in Stuttgart in seiner ganz eigenen Liga und absolviert seine eigenen Zeremonien außer Konkurrenz. Wer will, kann sich von ihm unterhalten lassen. Wer will, lässt sich von ihm verwirren.