Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Zwar gilt auch in diesem intimen Arzt-Patienten-Verhältnis: Wo kein Kläger, da kein Richter. Aber sich darauf zu verlassen ist Beck und den anderen Beschwerdeführern zu wenig und steht konträr zu seinem alltäglichen Tun. Beck ist Leiter des Palliative Care Teams in Stuttgart, das am Diakonieklinikum seinen Sitz hat. Er wird zurate gezogen, wenn es darum geht, Leiden zu lindern und gleichzeitig Lebensqualität zu bewahren. 500 Patienten betreut das Team im Schnitt jährlich, viele davon zu Hause oder in Pflegeheimen. Nur eine Handvoll konfrontiert Beck mit Selbstmordwünschen. Aber auch das gehört zu seinem Selbstverständnis als Palliativmediziner: Er prüft genau, ob der Patient diesen Weg eigenverantwortlich einschlagen kann und will – und stellt sich ihm.

 

So hat er in der Vergangenheit über fast drei Monate einer 75-jährigen Frau zur Seite gestanden, die nach drei gescheiterten Selbstmordversuchen einen weiteren Versuch unternommen hatte, sich mit einer Schusswaffe in den Kopf zu schießen und dabei erblindet war. Die Frau wusste bereits, dass letztlich der Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit zu ihrem Tod führen würde. Beck unterstützte sie in ihrem sogenannten Sterbefasten durch die Gabe von Beruhigungsmitteln, die ihren Zustand linderten. „Ihr nicht zu helfen wäre strafbar gewesen“, sagt er und benennt den Konflikt, in dem er sich in entsprechenden Fällen befindet: Helfen oder nicht helfen? Seit einem Jahr ist aus dem ethischen Konflikt auch ein rechtlicher geworden.Parallel zu der Beschwerde aus Filderstadt vertritt die Münchner Kanzlei Putz und Steldinger drei renommierte Palliativmediziner. „Das Gesetz behindert sie in ihrer Behandlung Sterbender“, sagt Wolfgang Putz ebenso wie Petra Vetter. Sie kämpft seit vielen Jahren für Patientenrechte und Patientenautonomie – besonders am Ende des Lebens. Für sie ist die Beschwerde der Ärzte denn auch eine, in der es nicht nur um die Klärung ihrer Interessen geht. Für Vetter und die Ärzte, die sie vertritt, geht es auch um Grundsätzliches: das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, das gerade in der letzten Lebensphase von großer Bedeutung ist.

Jeder vierte Schwerstkranke sagt irgendwann, dass er den Wunsch hat zu sterben

Fast zwangsläufig äußert in diesem Stadium des Lebens laut Studien jeder vierte Patient einmalig oder dauerhaft den Wunsch zu sterben. Zwar hat der Bundestag bei der Neuregelung vier fraktionsübergreifend eingebrachte Vorschläge ausgiebig diskutiert, um die Arbeit von sogenannten Sterbehilfevereinen unter Strafe zu stellen. Aber dass Ärzte von diesem Verbot nicht betroffen seien, liest Vetter nicht aus dem kurzen Gesetzestext. „Das Gesetz kriminalisiert nicht nur die Tätigkeit von Sterbehilfevereinen, sondern auch den ärztlich assistierten Suizid“, argumentiert die Medizin-Fachanwältin. Die Politik hat – ob versehentlich oder absichtlich – das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und Ärzte in die Situation gebracht, dass sie Gespräche, in denen der Wunsch nach Suizidhilfe aufscheint, „bei derzeitiger Rechtslage am besten unter Zeugen abbrechen müssen“, sagt Vetter. Und das sei für Arzt und Patienten unzumutbar. Die Sternstunde, als die auch diese Bundestagsdebatte gilt, hat also verheerende Folgen für die Ärzte.

Um die verzweifelte Lage seines ALS-Patienten Peter Römer zu verdeutlichen zeigt Dietmar Beck einen kurzen Film. Beck ist kein lauter Mensch, hört aufmerksam zu – und ist nach genauem Abwägen auch klar in dem, was er sagt: „Ich frage mich, ob ich Herrn Römer nicht beim Suizid hätte helfen sollen und ihm dafür ein Medikament hätte zur Verfügung stellen sollen.“ Er startet den Film. Zu sehen ist Peter Römer, der am Tisch in seiner Wohnung sitzt. Er hat den linken Arm auf den Tisch gestützt, die Hand hält den Kopf. „Er ist so schwer“, sagt er in die Kamera und zu seinem Besucher Beck. Seit einem Jahr ist Peter Römer zu diesem Zeitpunkt Becks Patient. Peter Römer will erzählen und hat Beck gestattet, sein Ringen mit der Krankheit zu dokumentieren.