Papst Franziskus besucht die drei ärmsten Länder Südamerikas: Ecuador, Bolivien und Paraguay. Aber er wird auf seiner Reise nur gegen die Sünde wettern, nicht gegen die Sünder, meint Wolfgang Kunath.

Rio de Janeiro - Die holzgeschnitzten Spanier mit Wams und Halskrause krümmen sich unter der Last der Kanzel in der San-Francisco-Kirche von Quito: So schwer ist es, den Wilden das Wort Gottes zu bringen! Nicht nur diese Kirche, vor der die jubelnden Gläubigen am Dienstag den Papst begrüßen werden, sondern das ganze historische Zentrum der Hauptstadt Ecuadors kann man als architektonische Parabel der Macht und der Herrlichkeit des Katholizismus in Südamerika betrachten.

 

Dicht an dicht stehen die Kirch- und Klöstertürme über den Dächern von Quito. Aber natürlich geht die Macht nicht nur mit der Herrlichkeit einher. Als Leónidas Proaño 1954 Bischof von Riobamba südlich von Quito wurde, war er entsetzt über das erbärmliche Leben, das vor allem die Indianer fristeten. Und die Oligarchie war noch entsetzter, als der Bischof begann, den Grundbesitz der Diözese nach Kommunisten-Art an die Armen zu verteilen. „Befreiungstheologie“ wurde das entsprechende Reizwort: Über Jahrhunderte hinweg hatte Europa geistlich den Amerikanern den Weg gewiesen, nun entstand in Lateinamerika eine eigene theologische Richtung, die man wohl, so sehr sie an der Gegenwart litt, als Reaktion auf die Kolonial-Christianisierung verstehen musste.

Das Wort Befreiungstheologie vermeidet der Papst

Dass Priestern Nächstenliebe und Barmherzigkeit nicht genügten, kam in Rom nicht so gut an. Die beiden Vorgänger von Papst Franziskus taten alles, um die Brüder im vermeintlichen Ungeist zu maßregeln. Auch wenn es unter den Befreiungstheologen kaum Marxisten gab – die Diskreditierung der Geistlichen wurde politisch begründet. Seit Benedikt zurückgetreten ist, weht ein anderer Wind. Vatikan-Experten rieben sich 2013 die Augen, als der Osservatore Romano, das Verlautbarungsblatt des Heiligen Stuhls, den peruanischen Armen-Priester Gustavo Gutiérrez zu Wort kommen ließ, der einst die Vokabel Befreiungstheologie geprägt hat. Der lang verfemte Nicaraguaner Miguel d’Escoto durfte wieder Messen lesen, der ermordete salvadorianische Bischof Oscar Romero wurde seliggesprochen. Ohne große Worte ließ Franziskus zu, was jahrzehntelang kaum denkbar war.

Aber natürlich ist Franziskus kein Befreiungstheologe. Vor zwei Jahren in Brasilien kam ihm das Wort nicht über die Lippen, und auch jetzt, bei seiner Reise durch die drei ärmsten Länder Südamerikas – Ecuador, Bolivien und Paraguay –, wird er es meiden. Die konservativen Theologen Südamerikas können sicher sein, dass ihr Oberhirte sie nicht verschreckt. Und für sie scheint die Befreiung des Menschen ohnehin in eins zu fallen mit seinem seelischen Heil – das sei doch Befreiungstheologie, sagt etwa Pater Javier Piarpuzán, der dem Mariensanktuarium von El Quinche vorsteht, das Franziskus besucht.

Für seine Enzyklika erhielt Franziskus viel Beifall

Das klingt friedlich, läuft aber natürlich auf Geschichtsklitterung hinaus. Denn in Lateinamerika ging es immer, wenn von Kirche und Armut die Rede war, um zwei recht verschiedene Dinge: Die einen traten für die Verbesserung der sozialen Lage zu Gunsten der Armen ein, und die anderen stritten dafür, dass die Armen selbst das Subjekt der Veränderungen sein sollen. Der Unterschied zwischen beiden Richtungen ist weit größer als die Worte nahelegen: Am Ende besteht er in der Machtfrage. Und die wirft Franziskus nicht auf – er wettert gegen die Sünde, nicht gegen die Sünder.

Sicher haben sich die Verhältnisse gewandelt. Mit dem Fall der Mauer ist die Zeit auch über den antikommunistischen Furor des polnischen Papstes hinweggegangen. Und so übel es vielen Armen in Lateinamerika immer noch geht – ganz so schlimm wie vor 40 Jahren ist es nicht mehr. Ökologische Katastrophen werfen die Verteilungsfrage anders auf als früher, globaler nämlich und einschneidender. Dass Franziskus mit seiner Enzyklika darauf reagiert, hat ihm jede Menge Beifall eingebracht.