Die Türkei hat gewählt, Siegesfeiern aber gibt es nicht nur in Istanbul, sondern auch in Stuttgart. Die Wahl in der Türkei ist auch in der Landeshauptstadt gegenwärtig.

Stuttgart - Die Türkei hat gewählt, Siegesfeiern gibt es nicht nur in Istanbul, sondern auch in Stuttgart. In der Nacht auf Montag haben sich 900 Anhänger der kurdischen Partei HDP spontan auf dem Marktplatz getroffen, um zu singen und zu tanzen. Montagabend war die offizielle Siegesfeier der prokurdischen Partei im Kulturhaus Arena in Wangen. „Ich habe mich noch nie so sehr über ein Wahlergebnis in der Türkei gefreut. Ich kann nicht mehr still sitzen“, sagt der Kurde Turan Tekin vom Wahlkomitee für die HDP in Stuttgart. Das Interessante dabei: Tekin selbst als eingebürgerter Deutscher durfte gar nicht wählen. „Die Wahl war so wichtig, dass sich viele Landsleute engagiert haben, ganz egal ob sie wählen durften oder nicht“, so Tekin.

 

Die islamisch-konservative Partei AKP von Recep Tayyip Erdogan hat die absolute Mehrheit verfehlt, die HDP wiederum hat mit einem Ergebnis von 13,1 Prozent erstmals die Zehn-Prozent-Hürde übersprungen und die Zahl ihrer Abgeordneten damit vervielfacht. Es war die erste türkische Parlamentswahl und die zweite Wahl überhaupt, bei der Türken im Ausland teilnehmen durften. Der Wahlkampf fand deshalb nicht nur in der Türkei statt, sondern auch in Stuttgart. Das Wahlkomitee für die HDP in Stuttgart beispielsweise hat Veranstaltungen in Moscheen und Kulturvereinen organisiert und kostenlose Busfahrten aus Göppingen und anderen Orten zum Wahllokal in Zuffenhausen angeboten. „Für Leute ohne Führerschein haben wir einzeln Fahrdienste nach Stuttgart organisiert“, erzählt Tekin. Der Grund, warum alle Parteien in der Landeshauptstadt mobil gemacht haben, ist schlicht: Zur Wahl beim Generalkonsulat Stuttgart, das für die Regierungspräsidien Stuttgart und Tübingen zuständig ist, waren 141 714 Türken berechtigt, und damit mehr als in allen anderen Städten in Deutschland.

In Stuttgart haben 52 048 Türken gewählt

In der Landeshauptstadt ihre Stimme abgegeben haben 52 818 Türken. Die Wahlbeteiligung lag damit bei 37 Prozent. In Stuttgart kam die AKP auf 55,1 Prozent der Stimmen, gefolgt von der HDP mit 17,1 und der Mitte-Links-Partei CHP mit 12,5 Prozent. Turan Tekin feiert das Stuttgarter, vor allem aber das Gesamtergebnis als Erfolg. „Wir haben verhindert, dass Erdogan seine Machtbefugnisse weiter ausbaut“, so der Stuttgarter Kurde. Das Engagement ging weit über die Fahrdienste hinaus. „Leute von uns haben als Beobachter den Transport der Wahlurnen nach Ankara begleitet, um Betrug zu verhindern“, so Tekin.

Grund zu feiern sieht man auch bei der alevitischen Gemeinde in Stuttgart mit ihren 500 Mitgliedern. Auch dort wurde in den vergangenen Wochen Wahlkampf für die HDP gemacht. „Als das Wahllokal in Zuffenhausen Anfang Mai geöffnet wurde, haben wir zu einem Frühstück in die Gemeinde geladen und sind gemeinsam zur Stimmabgabe gegangen“, erzählt Süleyman Ugur vom Vorstand der alevitischen Gemeinde in der Glockenstraße. Obwohl mehr als die Hälfte der Mitglieder der alevitischen Gemeinden die deutsche Staatsangehörigkeit haben, war die türkische Politik in der Moschee in der Glockenstraße in den vergangenen Wochen allgegenwärtig.

„Wahl hat Menschen in Stuttgart auseinander gebracht“

In der Glockenstraße aufgetreten ist auch Turgut Öker, der lange von Deutschland aus den Europäischen Dachverband der Alevitischen Gemeinden geleitet hat, seinen Wohnsitz aber inzwischen nach Istanbul verlegt hat. Öker ist als Kandidat der Auslands-Aleviten für die HDP angetreten und hat den Sprung ins Parlament geschafft. In Deutschland sind die Aleviten als Religionsgemeinschaft anerkannt, in der Türkei nicht. „Die Aleviten in der Türkei schauen auf die Situation in Deutschland und hoffen darauf, mit Unterstützung der deutschen Aleviten mehr Rechte durchsetzen zu können“, sagt Süleyman Ugur.

Als persönlich betroffen von der Wahl sieht sich auch Sami Aras, der Vorsitzende des Forums der Kulturen. Aras, selbst Kurde und Alevit, ist froh, dass die Wahl vorbei ist: „In Stuttgart hatten wir lange Zeit einen guten Umgang zwischen der türkischen und der kurdischen Community. In diesem Wahlkampf aber hat Erdogan so stark polarisiert, dass es auch die Menschen in Stuttgart auseinandergebracht hat.“ Aras hofft jetzt, wieder Brücken geschlagen werden können.

Auch Gökay Sofuoglu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg, beobachtet die starke Polarisierung der Türken in Deutschland wegen der türkischen Innenpolitik mit Sorge. Er selbst hat keine Wahlveranstaltung besucht: „Die Menschen sollen nicht auf die Politik in der Türkei schauen, sondern auf die Politik in Deutschland, da liegt ihre Zukunft und die ihrer Kinder.“ Sofuoglu, der selbst für die SPD im Fellbacher Stadtrat sitzt, appelliert bei dieser Gelegenheit auch an die deutsche Politik: Bei den Kommunalwahlen müssten nicht nur EU-Staatsangehörige zur Wahl zugelassen werden, sondern auch Angehörige von Drittstaaten. „Ich kenne viele ältere Stuttgarter Türken, die zum ersten Mal in ihrem Leben gewählt haben.“