In Schorndorf sitzt einer der kleinsten Fahrradproduzenten der Welt. Eine Probefahrt mit einem 6000-Euro-Pedelec der Marke Remsdale.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Schorndorf - Der Mann am Steuer des Kleinlastwagens staunt nicht schlecht: An der Ampel kurz vor dem steilen Anstieg der Talstraße in Waiblingen hinauf zur Landstraße in Richtung Ludwigsburg gibt er Vollgas, aber das Fahrrad neben ihm ist viel schneller weg als sein Brummi. Der Mann wundert sich, weil dieses E-Bike selbst auf den zweiten Blick nicht wie ein E-Bike aussieht, sondern wie ein normales Fahrrad. Es ist zwar mit seinem mattschwarzen Lack schick gestylt, auffällig unauffällig. Das Pedelec saust den Berg hinauf wie aufgezogen. Kopfschütteln hinter der Windschutzscheibe des Kleinlastwagens. Mir, dem E-Bike-Testfahrer, huscht ein Lächeln übers Gesicht, zum wiederholten Mal an diesem sonnigen Nachmittag.

 

Pedelec – das ist die englische Abkürzung für Pedal Electric Cycle. Der Motor eines solchen Elektro-Bikes gibt seine Kraft nur dann an das Antriebsrad weiter, wenn der Fahrer in die Pedale tritt, deshalb der Name. Pedelecs erkennt man normalerweise sofort, weil ein mehr oder weniger klobiger Motor und eine noch größere Batterie in einem der beiden Laufräder integriert beziehungsweise irgendwo am Rahmen angeschraubt sind.

In meinem Testbike ist die moderne Technik hingegen versteckt. Bei dem Remsdale 12.2 Carbon geht der winzige, aber kräftige Heckmotor hinter dem Ritzelpaket und der Bremsscheibe des Antriebsrads in Deckung. Der Motor ist quasi unsichtbar. Und der Akku ist auf eine fast wundersame Weise in dem Rahmen aus Carbon untergebracht.

Ein 6000 Euro teures Schmuckstück

Dieses Hightech-Bike aus der Daimlerstadt Schorndorf kommt an – bei der sachkundigen Kundschaft der Firma Remsdale, einem der weltweit kleinsten Fahrradproduzenten überhaupt, und bei den überraschten Passanten: Während meines gut dreistündigen Trips von Korb über Waiblingen und Ludwigsburg bis nach Asperg und wieder zurück begegnen mir immer wieder staunende Menschen am Straßenrand. Manche erkundigen sich nach dem Rad mit dem englisch klingenden Namen.

Meine Sportkumpel, denen ich dieses knapp 6000 Euro teure Schmuckstück präsentiere, sind auch ganz aus dem Häuschen. Reiner zum Beispiel. „Das soll ein Pedelec sein?“, fragt er und legt die Stirn in Falten. Reiner ist Ingenieur bei Bosch, und er guckt immer ganz genau hin. Einem Fachmann wie ihm entgeht beim dritten Hinsehen freilich nicht, dass es sich bei diesem Kracher aus Carbon um ein ganz besonderes Fahrrad handelt. Reiner schwingt sich auf den Sattel, dreht eine Runde, sagt anschließend: „Das geht ja ab wie d’Sau.“ Und dann strahlt er wie ein Schulbub, der eben sein Geburtstagsgeschenk ausgepackt hat.

Remsdale ist ein Ein-Mann-Betrieb. 2009 hat der Maschinenbauingenieur Till Rydyger das Unternehmen gegründet. Der 42-jährige gebürtige Schorndorfer zerlegte bereits als Grundschüler die Komponenten seines Kinderfahrrads mit der schier unverwüstlichen Dreigang-Sachs-Nabenschaltung aus Spaß an der Freude in alle Einzelteile – und baute dann alles wieder zusammen, immer und immer wieder. „Irgendwas muss man als Junge ja machen“, sagt er an diesem lauen Vorfrühlingstag im Jahr sechs nach dem Sprung in die Selbstständigkeit und grinst aus einem müden, aber zufriedenen Gesicht.

Die Geschichte des Firmennamens

Der Name Remsdale ist keine Anspielung auf Cannondale, den übergroßen Konkurrenten aus den USA. Und auch kein zusammengesetztes Kunstwort aus Rems und der zweiten Hälfte des Wortes Pedale. Remsdale sei schlicht eine Anspielung auf das schwäbisch verniedlichte Remstal – soll klingen wie Remstäle, erklärt Till Rydyger. Der Existenzgründer hat Humor. Das haben ihm viele Freunde und Verwandte wohl auch gesagt, als er den gut bezahlten, sicheren Job beim Daimler in Stuttgart-Untertürkheim aufgegeben hat, um seinen Traum zu verwirklichen: ganz spezielle Fahrräder zu produzieren und auf eigene Kappe zu verkaufen. „Manche haben mich auch für verrückt erklärt.“

Zunächst hat sich Rydyger auf sogenannte Downhill-Bikes festgelegt – robuste, vollgefederte Räder, mit denen man sich querfeldein die steilsten Abhänge hinunterstürzen kann. Royal Rydyger Racing , so hieß die Marke. Er habe ein paar fahrtüchtige Prototypen entwickelt, aber dann ziemlich bald festgestellt: „Dieser Markt ist gesättigt.“ So reifte der aus heutiger Sicht sehr weise Entschluss, Pedelecs zu produzieren. Nicht irgendwelche, sondern exklusive, „einmalig leichte und unauffällige Bikes“.

Tatsächlich bringt das 12.2 Carbon weniger Gewicht auf die Waage als viele gewöhnliche Fahrräder, die keine Batterie und auch keinen Elektromotor haben. Der Name ist Programm: Das Rad wiegt ohne Pedale lediglich zwölf Kilogramm und 200 Gramm. „Wenn wir zudem schlauchlose Reifen montieren, dann sogar mit Pedalen nicht mehr.“ Till Rydyger hat zwar keine Angestellten, aber trotzdem redet er oft von „wir“ und „uns“ – mit Blick auf die rund eine Handvoll Studenten, die in dem kleinen Betrieb mitten in Schorndorf auf Honorarbasis gelegentlich mit anpacken.

Die meisten Kunden sind rüstige Rentner

Die ersten Jahre als Selbstständiger seien enorm hart gewesen, sagt Till Rydyger. Tag und Nacht hat er getüftelt, nebenher Fahrräder repariert, um ein bisschen Geld zu verdienen und einigermaßen über die Runden zu kommen. Doch den Entschluss, die Weltfirma mit dem Stern zu verlassen, hat er nie bereut. „Ich bin mein eigener Herr, treffe meine eigenen Entscheidungen, habe mich nie in finanzielle Abhängigkeit einer Bank begeben, habe keine Schulden, keinen Partner, keine Angestellten und keine Verpflichtungen.“

Die Einpersonengesellschaft Remsdale ist seit dem Jahr 2010 offiziell am Markt. Till Rydyger war immer überzeugt von seinem Konzept: Für extrem leichte Elektro-Bikes gibt es einen Markt. Die Durststrecke sei zwar ziemlich lang gewesen, aber mittlerweile könne er gut von seiner Firma leben. Details zu seinem Kleinunternehmen nennt er nicht – nur so viel: „Wir haben seit dem Jahr 2010 noch keine 1000 Räder gebaut, der Umsatz steigt aber jährlich um etwa 60 Prozent.“

Das preiswerteste der zurzeit vier Remsdale-Modelle kostet rund 3500 Euro, es wiegt aber satte 18 Kilogramm. Noch in diesem Jahr werden weitere Ultraleichtgewichte wie das 12.2. Carbon vorgestellt, die ebenfalls rund 6000 Euro kosten dürften. Die meisten Komponenten, aus denen die Remsdale-Räder zusammengeschraubt werden, liefern asiatische Firmen. Das Verfahren, mit dem die Akkuzellen in den Rahmen eingeführt werden, hat sich der Tüftler Rydyger patentieren lassen.

Die meisten Kunden sind rüstige Rentner. Sie kommen aus ganz Deutschland, aus der Schweiz und aus Holland. Alle Bikes werden ausschließlich direkt von Schorndorf aus vertrieben. Händler gibt es keine.

Die Pläne für die Zukunft

Zukunftspläne? In den nächsten Jahren wolle er auch Jugend- und Kinderräder bauen, antwortet Till Rydyger. Einen Businessplan habe er aber nicht. „Ich bin eher der Entwickler und will gar kein großer Unternehmer werden. Ich will einfach seriös weiterarbeiten.“ Und wenn einer kommt, der seinen innovativen Laden übernehmen will? Falls ein Unternehmen richtig viel Geld auf den Tisch legen sollte, könnte Rydyger sich durchaus vorstellen, Remsdale zu verkaufen. Und dann? „Fahre ich mit dem Rad um die Welt.“

Meine Nachmittagstour mit dem E-Bike aus der Schorndorfer Edelradschmiede geht zu Ende. Die Batterie hat die gut 70 Kilometer vom Remstal bis nach Asperg und zurück locker gepackt. Unterwegs habe ich noch ein paar Autofahrer mit schnellen Antritten zum Staunen gebracht so wie den Kleinlastwagenfahrer in der Waiblinger Talstraße.

Zum Abschluss eine Stippvisite beim kleinen Fahrradhändler meines Vertrauens in einer Seitenstraße in Korb. Was sagt der Fachmann zu Remsdale? „Das sind tolle Räder, aber komm mal mit.“ Stolz präsentiert Roland Berndt ein Schmuckstück, das er gerade auf speziellen Kundenwunsch zusammenschraubt: Der Rahmen ist aus Titan, der winzige Motor – gebaut in Österreich – steckt unsichtbar im Rahmen unter dem Sattel. Es wiegt wie das 12.2 Carbon Remsdale rund zwölf Kilogramm, der Preis liegt ebenfalls bei etwa 6000 Euro. Nur der Akku dieses Bikes made in Korb, der hängt wie bei fast allen anderen Pedelecs außen am Rahmen. Das ist weniger schön.