Die Forschung zeigt es deutlich: auch bei Tieren gibt es unterschiedliche Charaktere. Diese Persölichkeitsunterschiede bieten Vorteile.

Stuttgart - Ist das ein komisches Ding! Riecht nach Apfel und fühlt sich auch so an. Ist aber platt und herzförmig und knallrot. Hm. Kann das trotzdem schmecken? Oder soll man lieber die Finger davon lassen? Die Gorillas im Leipziger Zoo wissen manchmal nicht so recht, was sie von Jana Uhers Mitbringseln halten sollen. Dabei hat sich die Psychologin von der Freien Universität Berlin extra die Mühe gemacht, Äpfel und Birnen in Scheiben zu schneiden, mit Plätzchenformen verschiedene Motive auszustechen und das Ganze mit Lebensmittelfarben bunt zu gestalten.

 

Die Reaktionen, die sie dafür erntet, sind sehr unterschiedlich. "Manche Tiere werfen einem das merkwürdig aussehende Futter sofort wieder vor die Füße", berichtet die Forscherin. Andere dagegen untersuchen die seltsamen Objekte ausgiebig, riechen daran und fressen sie schließlich. Und wieder andere sehen sie mehr als Spielzeug denn als Leckerbissen. Auch unter Gorillas ist also keineswegs einer so neugierig und experimentierfreudig wie der andere. Genau solche Unterschiede faszinieren Jana Uher. Sie leitet eine Forschungsgruppe, die Persönlichkeitsunterschiede bei verschiedenen Primatenarten untersucht.

Tiere mit Persönlichkeit? Eine solche Idee hätten die meisten Verhaltensforscher noch vor ein paar Jahrzehnten weit von sich gewiesen. Ein Gorilla sei schließlich wie der andere, sein Verhalten hänge nur von seinem Alter und seinem Geschlecht ab. Für Individualismus schien da kein Platz zu sein. Einem Affen mehr Mut oder Impulsivität, Angst oder Fürsorglichkeit zuzuschreiben als einem anderen, galt als unzulässige Vermenschlichung. Doch inzwischen gibt es immer mehr Biologen und Psychologen, die das anders sehen.

Jedes Tier hat seine Art, mit Frust umzugehen

Jana Uher erinnert sich noch gut daran, wie sie vor ein paar Jahren die Gorillas des Leipziger Zoos kennenlernte. In einem Experiment hatte sie den großen Affen die Wahl gelassen, ob sie lieber vier Rosinen haben wollten oder nur eine. Doch sie bekamen immer die unerwünschte Portion. Hatten sie sich also für die größere Menge entschieden, mussten sie sich mit einem einzigen Leckerbissen zufriedengeben.

"Manche bekamen daraufhin regelrechte Wutausbrüche und trommelten frustriert gegen die Scheiben", beschreibt die Forscherin die impulsiveren Charaktere. Andere ließen dagegen nur den Kopf hängen und seufzten tief. Und wieder andere beschäftigten sich ausgiebig und scheinbar hochkonzentriert mit ihren Haaren - so, als wollten sie sich die Enttäuschung nicht anmerken lassen. Rasch wurde klar, dass jedes Tier seine typische Art hatte, mit Frust umzugehen. Und die legte es auch beim zwanzigsten Versuchsdurchgang nicht ab. Gorillacholeriker können offenbar genauso schlecht aus ihrer Haut wie ihre menschlichen Pendants.

Fasziniert beschloss die Psychologin, der Sache weiter auf den Grund zu gehen. Mittlerweile untersucht sie auch das Verhalten anderer Primatenarten wie Kapuziner-, Java- und Rhesusaffen. Ihr Berliner Team kooperiert dazu mit dem Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig sowie Forschungseinrichtungen in den Niederlanden, Italien und Indien. Gerade ist Jana Uher von einem Forschungsaufenthalt in Rom zurückgekommen, wo sie individuelle Eigenheiten von Kapuzineraffen untersucht hat.

Auch bei Kohlmeisen gibt es Individualismus

Um die verschiedenen Wesenszüge von Affen zu untersuchen, beobachten die Forscher systematisch, wie sie sich die Tiere in der Gruppe verhalten. Hinzu kommen Experimente, an denen die Tiere freiwillig teilnehmen können. Auf eine Auswahl verschiedener Obst- und Gemüsesorten reagieren zum Beispiel keineswegs alle Artgenossen gleich. Während manche wahllos alles in sich hineinstopfen, sind andere echte Feinschmecker, die sich nur Rosinen herauspicken und Karottenstücke verschmähen.

Ähnlich unterschiedlich reagieren die Tiere auch auf fremde Gegenstände, mit denen die Forscher sie konfrontieren. "Den Kapuzinern in Rom haben wir zum Beispiel ein großes Bettlaken quer in den Käfig gehängt", berichtet Jana Uher. Während einige der südamerikanischen Kletterkünstler das unheimliche Ding kaum zu berühren wagten, sahen andere die perfekte Spielgelegenheit und rissen den Stoff vor lauter Eifer fast von der Decke.

Auch bei anderen Tierarten scheint mehr Individualismus angesagt zu sein, als Experten lange vermutet hatten. So haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen nachgewiesen, dass es unter Kohlmeisen Angsthasen und Draufgänger gibt. Manche Vögel lassen sich von einer Plastikfigur des rosaroten Panthers neben dem Futternapf keineswegs beeindrucken, während andere lieber einen möglichst großen Abstand zwischen sich und das vermeintliche Ungetüm legen.

Persönlichkeitsunterschiede haben Vorteile

Sogar unter Tintenfischen gibt es offenbar recht unterschiedlich gestrickte Typen. David Sinn von der University of Tasmania in Australien hat den Weichtieren eine schmackhafte Garnele vorgesetzt und sie gleichzeitig mit einem Bleistift bedroht. Die aggressiveren unter den vielarmigen Krabbenjägern griffen den hölzernen Feind daraufhin ohne zu zögern an. Die vorsichtigeren dagegen gaben den Leckerbissen sofort auf, stießen eine riesige Tintenwolke aus und machten sich eilig aus dem Staub.

Natürlich stellt sich die Frage, was das Ganze soll. "Evolutionsbiologen konnten lange nicht so recht erklären, worin der Vorteil von Persönlichkeitsunterschieden bei Tieren liegt", sagt Jana Uher. Schließlich ging man noch bis Ende der 1990er Jahre davon aus, dass es für jede Art ein optimales Verhalten gibt. Warum sollten da einzelne Individualisten aus der Reihe tanzen?

So einfach aber ist die Sache nun doch nicht. Schließlich verändert sich die Umwelt ständig, so dass Tierarten immer wieder mit neuen Situationen konfrontiert werden. Und dabei sind neue Verhaltensweisen gefragt. Mal sind eher die Draufgänger im Vorteil, mal die Vorsichtigen, mal die Einzelgänger und mal die Geselligen. Wenn es zum Beispiel gilt, einen neuen Lebensraum zu erschließen, wird das mit einer Gruppe aus lauter Angsthasen kaum klappen. Je mehr unterschiedliche Charaktere eine Art aufbieten kann, umso anpassungsfähiger ist sie also.

Scharfe Konkurrenz zwischen geselligen Typen

Zudem gibt es zwischen unterschiedlichen Persönlichkeiten oft weniger Rivalitäten. Der Psychologe John Capitanio von der University of California in Davis hat zufällig ausgesuchte Rhesusaffenmännchen zu neuen Gruppen zusammengestellt - und dabei Verblüffendes beobachtet. In Gruppen mit lauter besonders sozial eingestellten Mitgliedern flogen viel häufiger die Fetzen, als wenn auch ein paar Eigenbrötler dabei waren. Offenbar gab es zwischen den geselligen Typen eine scharfe Konkurrenz um Kontakte und Freundschaften. Und da sie oft besonders eng zusammensaßen, brach dann auch noch häufig Streit ums Futter aus. Alles keine guten Voraussetzungen für ein harmonisches Zusammenleben.

"Eine Gruppe scheint daher sozial besser zu funktionieren, wenn sich unterschiedliche Persönlichkeiten ergänzen", sagt Jana Uher. So ist vermutlich auch die Menschheit dahin gekommen, wo sie heute steht. "Es war bestimmt nicht jeder unserer Urahnen bereit, sich mit dem Feuer zu beschäftigen", meint die Psychologin. Den besonders ängstlichen Vertretern seiner Art hat der Mensch die Erfindung des Barbecues wohl nicht zu verdanken. Dafür konnten diese dann dafür sorgen, dass ihre mutigeren Kollegen nicht gleich die ganze Höhleneinrichtung abfackelten.

Das Forschungsprojekt im Internet unter www.primate-personality.net/de

Wie Persönlichkeit entsteht

Erbgut: Wie beim Menschen, so scheint auch die Persönlichkeit von Tieren zu einem gewissen Teil im Erbgut verankert zu sein. So haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen herausgefunden, dass es zwischen mutigeren und ängstlicheren Kohlmeisen genetische Unterschiede gibt. Sie besitzen jeweils eine andere Variante eines Gens namens Drd4. Dabei handelt es sich um die Bauanleitung für einen Rezeptor, an den im Gehirn der Botenstoff Dopamin andockt.

Hormone: Das Verhalten hängt aber nicht nur von den Genen ab. Je nach Umweltsituation geben Vogelmütter ihrem ungeschlüpften Nachwuchs einen unterschiedlich zusammengesetzten Hormoncocktail mit in den Eidotter. Dieser steuert dann die Entwicklung des Embryos so, dass er unter den jeweiligen Bedingungen die besten Überlebenschancen hat - also zum Beispiel besonders neugierig wird. Säugetierweibchen übermitteln diese biochemischen Nachrichten über Plazenta und Gebärmutter.

Erziehung: Gerade bei Affen spielt wie beim Menschen die Erziehung eine wichtige Rolle für die Ausbildung unterschiedlicher Persönlichkeiten. So lassen manche Mütter dem Nachwuchs mehr Freiheiten oder vermitteln ihm mehr Selbstbewusstsein als andere.