Der neue Bundesumweltminister Peter Altmaier sät Freundlichkeit und hofft auf reiche Ernte. Auf seiner Ländertour hat er auch in der Landeshauptstadt Stuttgart Station gemacht – und sich mit Winfried Kretschmann getroffen.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart - Der frische Wind lässt die Rotoren mit immer gleicher Geschwindigkeit den blau-weißen Himmel zerschneiden. Große und kleinere Windräder hat Enercon, Europas Marktführer für Windanlagen, auf seinem Firmengelände in der Ebene von Magdeburg aufgestellt. Dort liegen die Produktionshallen und das wellenförmige Verwaltungsgebäude mit der schicken Glasfassade in der flachen Landschaft. Auf der Dachterrasse zerzaust der Wind die Haare von Ministerpräsident Reiner Haseloff; auf dem mächtigen Schädel von Bundesumweltminister Peter Altmaier neben ihm gibt es nichts zum Durcheinanderbringen.

 

Nicht weit entfernt ragt E 126 in den Himmel. Das leistungsfähigste Windrad der Welt ist ein Riese unter seinesgleichen: 135 Meter Nabenhöhe, 127 Meter Rotordurchmesser, 7,5 Gigawatt Leistung. Unten in der Halle haben Altmaier und Haseloff gerade zugeschaut, wie Maler letzte Hand an ein riesiges Rotorblatt legen. „Wind auf“, schreibt Altmaier mit schwarzem Filzstift auf einen Flügel. „Viel Glück für die Energiewende!“ Haseloff witzelt, dass das schon die zweite sei. „Die erste war auch schon nicht schlecht“, kontert der Minister und lächelt.

Peter Altmaier ist auf Tour durch die Republik. Wo er geht und steht, wird er mit Erwartungen konfrontiert, die eigentlich Forderungen sind. Die Hälfte aller Bundesländer hat er mittlerweile besucht. Die Szenen ähneln sich: Empfang durch den Ministerpräsidenten, Goldenes Buch, Firmenvisiten, Pressekonferenz, Beziehungspflege.

Vor gerade zwei Monaten hat Altmaier seinen Vorgänger Norbert Röttgen, den Wahlverlierer aus Nordrhein-Westfalen, im Amt beerbt. Zuvor war er Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag. In dieser Zeit hat er gelernt, in heiklen Lagen Mehrheiten zu organisieren. Er hat das Ausgleichen und Einbinden geübt und versucht, Kompromisse so zu schmieden, dass möglichst keiner sein Gesicht dabei verliert. Eine besondere Begabung dafür, Positionen zusammenzubringen, attestiert ihm sogar einer, der sich am Ende in einer Nacht-und- Nebel-Aktion doch noch über den Tisch gezogen sah.

Auf ihn wartet ein sehr heißer Herbst

Diese Talente will Peter Altmaier auch jetzt wieder einsetzen. Sie sind sein Rüstzeug für den heißen Herbst, der ihm bevorsteht. Den Dauerstreit seines Vorgängers mit dem Wirtschaftsminister hat er durch eine „regierungsamtliche“ Freundschaft zu Philipp Rösler ersetzt, zur Opposition baut er Brücken, alle Länderkollegen hat er schon zum Essen eingeladen, den SPD-Chef Sigmar Gabriel zu einem Besuch im niedersächsischen Katastrophenendlager Asse mitgenommen.

Altmaier weiß, dass ihn schwierige Monate erwarten. Im Herbst ist mit einer Reihe schlechter Nachrichten zu rechnen. Der Zubau an Solaranlagen wird den des Vorjahrs wahrscheinlich übertreffen, die Umlage zur Finanzierung der erneuerbaren Energien dürfte explodieren, der Windparkbau vor der Küste mutmaßlich stocken, und die Finanzanforderungen des dringend nötigen Netzausbaus werden wohl als gigantisch erscheinen.

Aber jetzt, auf der Dachterrasse von Enercon, ist erst mal noch Sommer. Da hört Altmaier fröhlich zu, wie sein christdemokratischer Parteifreund Haseloff für seine prosperierende Windbranche kämpft und für die von der chinesischen Konkurrenz fast schon in die Knie gezwungenen Fotovoltaikunternehmen. Er erwarte vom Bund ein Bekenntnis zur Solarindustrie im Land, sagt Haseloff in die Kameras. Der Minister legt schlitzohrig ein „klares Bekenntnis, dass wir eine konkurrenz- und leistungsfähige Solarindustrie in Deutschland wollen“, ab. Minuten später landet der Landesvater seinen zweiten Versuch. Altmaiers Visite zeige, „dass die Branche der erneuerbaren Energien genauso viel Zuwendung vom Bund bekommt wie die Autoindustrie, weil unsere Anlagen die Technologie des 21. Jahrhunderts sind“. Altmaier kontert, dass „wir im 21. Jahrhundert schon auch noch Auto fahren wollen“.

Harmonie und Spott in der Villa Reitzenstein

Streit ist seine Sache nicht – bisher.

War da was? Streit jedenfalls nicht; nur ein freundliches Scharmützel unter Politikern mit verschiedenen Interessen. Der Minister aus Berlin hat sich dabei keinen Millimeter über die Grenze ziehen lassen, die er zuvor gesteckt hatte.

Solche Visiten stehen zurzeit häufig in Altmaiers Terminplan, und doch ist Magdeburg etwas Besonderes. In der Säulenhalle der Staatskanzlei trägt der 54-Jährige sich ins Goldene Buch ein. Neben ihm sitzt Otto der Große auf einem Pferd. Die imposante Holzskulptur lässt sogar Altmaier klein aussehen, und das passiert dem ersten Spitzenpolitiker seit dem Original, der mit Kohl’scher Figur sein Amt ausfüllt, gewiss nicht oft. Als ob Haseloff diesen Eindruck korrigieren wollte, erhebt er Altmaier wenig später in den Kreis der ganz Großen. Eine Festschrift über Bismarck, für den der Minister ein Faible hat, überreicht Haseloff ihm zur Erinnerung an den Besuch. „Das ist unser Bismarck hier“, sagt er dann und klopft dem Parteifreund liebevoll auf die Schulter. „Der echte war allerdings etwas kleiner.“

Das muss Altmaier erst mal einer nachmachen: Gerade zwei Monate ist er im Amt und schon größer als der eiserne Kanzler. Auch wer Haseloffs überschwänglicher Interpretation nicht folgen will, kann über Altmaiers Senkrechtstart in der Regierung nur staunen. Am Wochenende hat er es in einer Umfrage auf den vierten Platz unter allen Merkel-Ministern gebracht. Die Mehrheit der Befragten will ihn auch nach der Bundestagswahl noch als Umweltminister sehen. Dabei ist der 54-jährige allein stehende Saarländer, der während Helmut Kohls Kanzlerschaft zum jungen Wilden reifte und in den Nach-Kohl-Jahren um ein Haar den Aufstieg verpasst hätte, geradezu das Gegenbild von Politlieblingen à la Guttenberg. Er taugt weder äußerlich noch vom Auftreten her für die Heldenrolle.

Aber vielleicht bräuchte es ja einen modernen, demokratischen Helden, der das Mammutprojekt Energiewende stemmen könnte? Das Ausland guckt skeptisch-interessiert zu, was die Deutschen da treiben. Wenn es einer schafft, dann ihr – das ist das Freundlichste, was deutsche Diplomaten und Wirtschaftsvertreter in aller Welt zu hören kriegen. Inzwischen hat auch Altmaier selbst mehrfach und so deutlich auf – allerdings vergleichsweise nebensächliche – Probleme bei der Energiewende verwiesen, dass Zweifel wach wurden, ob er noch dahintersteht.

Doch, sagt er, das tue er. Dass Deutschland zur globalen Lachnummer würde, wenn das Projekt nicht klappen würde, kann er sich denken. Deshalb weiß er auch, dass es demnächst viel schwerer sein wird, der verantwortliche Energiewendeminister zu sein, als es im Augenblick der Fall ist.

Weil es um Milliardeninvestitionen geht, geben sich Verbands- und Wirtschaftsvertreter in seinem Büro bis spät in die Nacht die Klinke in die Hand. Deshalb sind alle Ministerpräsidenten scharf auf seinen Besuch. Deshalb gibt es neben der Kanzlerin derzeit wohl keinen Politiker, der so intensiv von Lobbyisten beackert wird wie Altmaier. Da kämpfen dann die Solarvertreter gegen die Windmüller, die Offshore- gegen die Onshorespezialisten, die Bauern für die Biomasse, die Mittelständler wie die Verbraucherschützer für bezahlbaren Strom und die Großindustrie für Entlastungen. Rheinland-Pfalz kämpft für eine Masse von Windrädern im Hunsrück, Schleswig-Holstein für ganz viel Wind von der Küste, Nordrhein-Westfalen für die Kohle, Bayern will möglichst viel von allem und kämpft sowieso gegen alle.

Altmaier lächelt, hört zu und verspricht nichts. Aber er weiß, dass in Deutschland am Ende viermal mehr Ökoenergie produziert als in Spitzenzeiten verbraucht wird, wenn alle so weitermachen wie im vergangenen Jahr. Er weiß auch, dass er es ist, der diesen Trend stoppen muss.

Harmonie und Spott in der Villa Reitzenstein

Vorarbeiten dafür leistet er freitags in Magdeburg und am Montag in Stuttgart. Jetzt bestellt er seinen Acker mit Freundlichkeit, Aufmerksamkeit und Dialogbereitschaft. Für jeden nimmt er sich Zeit, „weil das das Mindeste ist, was ich tun kann“, wie er sagt. Vielleicht erweist es sich bald auch als das Maximale, was der Minister tun konnte, weil er gar zu heterogene Interessen zusammenzwingen musste.

Jetzt sitzt Altmaier zwischen Ministerpräsident Winfried Kretschmann und dem baden-württembergischen Umweltminister Franz Untersteller in der Bibliothek der Villa Reitzenstein. Man hat sich zum Arbeitsessen getroffen. Es geht um die sichere Stromversorgung und stabile Netze im Südwesten und die Frage, wie man strategische Reserven für sonnen- und windarme Zeiten schafft. Bei der anschließenden Pressekonferenz nennt Altmaier die Ziele legitim, lässt aber offen, ob er die vom Land propagierten Lösungen für richtig hält.

Niedersachsen hat er bei seinem Antrittsbesuch zum „Premiumpartner“ für die Energiewende erklärt, Sachsen-Anhalt hat er eine „Vorreiterrolle“ zugedacht, Baden-Württemberg erklärt er jetzt zum „Verbündeten“. Beim Essen gab es, worauf Untersteller seinen Berliner Kollegen frotzelnd hingewiesen hat, Spätzle – und keine Pizza. Alles ist also anders als damals, in den neunziger Jahren beim Bonner Italiener, als progressive schwarze und grüne Politiker sich zur Pizza-Connection trafen, um Strategien zu schmieden und Mauern zwischen ihren Parteien zu schleifen.

Früher mal galt Altmaier wie Kretschmann als ausgewiesener Anhänger von Schwarz-Grün. Heute wollen beide auch angesichts der Energiewende nichts wissen von schwarz-grünen Koalitionsspielen oder Achsen, und seien sie noch so inoffiziell. „Das ist jetzt kein Lagerthema mehr“, sagt Kretschmann mit einem erleichterten Seufzer. „Meine Freundschaft gilt allen Bundesländern“, ergänzt Altmaier. „Sie müssen an Bord sein, wenn die Sache ein Erfolg werden soll.“ Im Übrigen sei früher vieles tabuisiert gewesen. „Da war es richtig, aufeinander zuzugehen“, fügt er hinzu. „Heute gibt es diese Tabus nicht mehr.“