Beim Bietigheimer Pferdemarkt geben sich noch bis Dienstag Vergangenheit und Gegenwart die Hand. Rittervorführungen, Pferdepracht und Vergnügung lockten Tausende unter das Viadukt.

Bietigheim-Bissingen - Wie hat der Alltag wohl ausgesehen damals, als eine Siedlung namens Bietigheim die Stadtrechte erhielt? Vielleicht in etwa so: eine Schar berittener Kämpfer hat ihre Zelte am Ufer der Enz aufgeschlagen. Viel gemeines Volk hat sich versammelt, um zu bewundern, wie jene ominösen Ritter ihre Kampfeskünste demonstrieren. „Schaut und jubelt“, ermuntert sie ein Herold mit lautstarker Stimme, „denn das ist die Begründung dafür, dass ihr den ganzen Tag auf dem Feld schuften müsst, während wir Wein trinken und schlemmen.“

 

Vorführung der „Turneydrachen“

Zugegeben: dieser historische Sprung ist fiktiv – aber er wurde am vergangenen Wochenende in Bietigheim unternommen. Zur 80. Feier des Pferdemarktes sollte die wilde Truppe der „Turneydrachen“ den Schaulustigen eine Kostprobe ihres Könnens darbieten – mit just jener Begründung des Moderators, dessen Stimme allerdings Unterstützung von einer kraftvollen Lautsprecheranlage erhielt.

„Das ist kein Kinderspiel, hier!"

Mit prachtvoll geschmückten Pferden und wilden Gesten zeigten die Reiter, die über das Wochenende ihre Zelte aufgeschlagen hatten, was sie können. Und das ist offenbar eine ganze Menge: Vom Pferde aus wurden per Lanze zunächst Ringe aufgespießt, danach rückten die Reiter mit dem Schwerte Köpfen zu Leibe. Allerdings nur Holzköpfen, „um das gemeine Volk nicht zu erschrecken“, wie der Moderator meinte. „Außerdem sind Holzköpfe auch stets zahlreich vorhanden.“ So begierig auf das Schauspiel waren die Zuschauer, dass der Herold zwischendurch mahnen musste: „Die Kinder bitte hinter die Absperrung! Das ist kein Kinderspiel hier, das sind 500 Kilo schwere Pferde!“

Die Authentizität der Darbietungen wurde ergänzt durch das Ritterlager, in dem die Truppe tatsächlich residierte. Hier wurden, als wäre es Alltag, die Pferde gewaschen, ein Sattler demonstrierte die Kunst der Sitzbereitung für einen Ritter, zudem suchten die Ritter das Gespräch mit den Besuchern, und Kinder durften auch mal Lanzen oder Schilder anfassen. Allein: wer sich von der Show aus der Gegenwart entrückt wähnte, wurde vom Geschehen auf dem Viadukt gut zehn Meter weiter oben auf den Boden der Tatsachen geholt. Während des Lanzenturniers rollte ein Regionalzug über den Festplatz und das Ritterlager hinweg. Güterzüge und Stadtbahnen passten nicht ins historische Bild, sorgten aber für eine ganz eigene Atmosphäre.

Ein Flughafen für Schwindelfreie

Mittelalterliche Volksbelustigung

Jene war auch geprägt von alldem, was den Pferdemarkt alljährlich ausmacht. Da wäre zunächst der professionelle Reitsport auf dem Wettkampfplatz. Aber da wären auch die vielen Vierbeiner, die sich in ihrer ganzen Schönheit dem Volke präsentierten. Zum Beispiel die entzückenden Shetland-Ponys, die tapfer trippelnd kleine Kutschen zogen. Und natürlich bot der Pferdemarkt auch wieder das, was ihn im Kern ausmacht: Volksbelustigung im fast schon mittelalterlichen Sinne.

Wer keine Höhenangst kennt, konnte auf dem „Alex Airport“, einem 55 Meter hohen Kettenkarussell, die Fliehkräfte und einen herrlichen Ausblick über Stadt und Festgelände genießen. Völlerei konnte allerorten nicht minder gehuldigt werden. Da hatte das gemeine Volk im Jahre 2014 einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Vorfahren vor 650 Jahren: Man durfte das Ritterspektakel bewundern – und trotzdem schlemmen wie ein Ritter.