Die Pflegebranche boomt, aber ihr Image ist schlecht. Um Mitarbeiter zu gewinnen, muss man neue Wege gehen.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)
Stuttgart - Marcel Herzog kennt die Vorurteile. Der 20-Jährige weiß, dass einige Gleichaltrige meinen, bei der Arbeit eines Altenpflegers handele es sich um einen schlecht bezahlten "Drecksjob". Und vielleicht hat der junge Mann mit der mittleren Reife auch deshalb erst einen klassischen Männerberuf anvisiert und Elektriker gelernt. Doch nun, nachdem er anderthalb Jahre lang Schaltschränke gebaut und Kabel verlegt hat, ist Marcel Herzog klüger und glücklicher. "Das Hantieren mit toter Materie war nichts für mich. Das hat mich nicht ausgefüllt", sagt der Altenpflegeschüler im ersten Lehrjahr.

Herzog, der im Heilbronner Haus am Staufenberg seine praktische Ausbildung macht, ist von dem neuen Tätigkeitsfeld begeistert. Er schwärmt vom "Menschlichen, Sozialen, dem Miteinander" im Heim und davon, dass seine Kumpels ihn bewundern. Der junge Mann hat seine Bestimmung - und den Weg in eine Zukunftsbranche gefunden. Die Beschäftigungsaussichten sind angesichts der demografischen Entwicklung glänzend, und auch der Verdienst ist nicht so schlecht, wie viele glauben. Herzog selbst hat erstaunt festgestellt, dass er mehr Geld mit nach Hause bringt als bei seiner ersten Ausbildung. "Damals gab es im zweiten Lehrjahr 400 Euro netto, jetzt sind es bereits 700", erzählt er.

Ein Hintergrund für diese Diskrepanz ist, dass sich der Wettbewerb um die Fachkräfte auf dem Pflegemarkt verschärft. Ein Lockmittel seien höhere Einstiegsgehälter, berichtet Wolfgang Wanning. Der Geschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, dem größten Altenhilfeträger Süddeutschlands, ist sicher: "Der Wettbewerb der Betreiber wird künftig weniger um Bewohner und um Plätze als vielmehr um das geeignete Personal gehen." Dass diese Behauptung nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigen aktuellen Zahlen und die Prognosen der Experten. Momentan sind bundesweit 12.000 Altenpflegestellen nicht besetzt. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste sagt voraus, dass bis 2020 rund 300.000 Pflegekräfte fehlen werden.

Die Branche hat kein gutes Image


"Wir werden dem wachsenden Bedarf nicht gerecht", klagt auch Eberhard Jüttner. Der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes sieht die Politik in der Pflicht, den Beruf attraktiver zu gestalten. Er mahnt eine höhere Vergütung an, bessere Arbeitsbedingungen - mehr Zeit für Zuwendung - und größere Aufstiegsmöglichkeiten. Die Gesellschaft müsse Geld in den Pflegebereich pumpen, fordert der Arzt. Der gerade eingeführte Mindestlohn sei dabei nur ein erster Schritt.

Der Praktiker Wanning führt noch andere Aspekte an: die Branche leide unter einem falschen Image. Der Betriebswirt beklagt etwa die Mär, dass schlecht bezahlt werde. "Mit 2367 Euro im Monat ist das Einstiegsgehalt bei uns in der Altenpflege höher als bei Banken und Versicherern", betont er. Als ärgerlich empfindet es der Mann, der früher einen Versicherungsunternehmen geführt hat, dass die raschen Aufstiegsmöglichkeiten öffentlich kaum bekannt seien. Schon nach zwei bis drei Jahren könne sich eine Altenpflegerin für eine Führungsposition - etwa als Wohnbereichsleiterin - qualifizieren. Er hätte zwar sicher nichts gegen die vom Wohlfahrtsverband angemahnten höheren Tagessätze in der Pflege, er sieht aber auch andere Möglichkeiten der Nachwuchsgewinnung.