Bundeskanzlerin Angela Merkel steht wegen ihrer Flüchtlingspolitik im Kreuzfeuer der Kritik. Doch bei einem Auftritt in Stuttgart verteidigt sie das geplante Abkommen mit der Türkei.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Angela Merkel gehört nicht zu den Politikern, die gerne öffentlich über ihre innere Befindlichkeit sprechen. Erst recht nicht über schwache Momente. So ist es eine bei ihr eher ungewöhnliche Offenheit, als sie am Dienstagabend in Stuttgart sagt: „Ich darf Ihnen verraten, dass ich im Flugzeug von Berlin nach Stuttgart eingenickt bin.“

 

Die Bundeskanzlerin war zu Gast im „Treffpunkt Foyer“ der „Stuttgarter Nachrichten“. Hinter ihr lagen zu diesem Zeitpunkt zwei sehr kurze Nächte in Brüssel, wo sie mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu und den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union hart und lange um eine Lösung der Flüchtlingskrise gerungen hat. Merkel weiß, dass dieser Gipfel keine Lösung, keinen alles entscheidenden Durchbruch gebracht hat. „Es war wichtig. Wir haben wichtige Weichen gestellt“, formuliert sie zurückhaltend auf der Bühne des Beethovensaals in der Liederhalle. Aber dieser Gipfel habe bei ihr die Überzeugung gestärkt, dass Europa auch diese Krise meistern werde. Selbst wenn es wie so oft langsam gehe. Die Brüsseler Konsenssuche, räumt die Politikerin ein, sehe „nicht immer elegant aus“.

Die EU kann das stemmen

Auch Merkel wurde nach eigener Aussage am Sonntag durch die türkische Regierung überrascht, die plötzlich die Rücknahme aller Flüchtlinge anbot, die aus der Türkei illegal nach Griechenland kommen. Die Kanzlerin hat die Offerte beherzt angenommen. Den Preis Ankaras – noch einmal drei Milliarden Euro Hilfe, Abnahme von Flüchtlingen in gleicher Zahl und schnelle Visafreiheit für Türken – hält sie nicht für zu hoch. „Das sind keine Forderungen, die völlig aus dem Off gegriffen sind“, sagt Merkel. Die EU-Staaten könnten das stemmen. Das Geld komme nicht vorrangig der Türkei, sondern den dort lebenden Flüchtlingen aus Syrien zugute. Hier werde auch nicht die Tür für einen baldigen Beitritt der Türkei in die EU geöffnet. „Wir sind wirklich am Anfang des Beitrittsprozesses“, versichert die Kanzlerin.

Die geplante Abmachung sieht vor, dass die EU-Staaten syrische Flüchtlinge direkt aus der Türkei aufnehmen. Bundeskanzlerin Merkel ist überzeugt, dass so den Schleppern in der Ägäis die Geschäftsgrundlage abhanden kommt. Aber kann sie die anderen EU-Regierungschefs, die sich bisher mit großer Mehrheit Kontingentlösungen widersetzt haben, nun überzeugen, Flüchtlinge aufzunehmen? „Wenn einige Länder wie Ungarn und die Slowakei sagen: Null“, dann sei das nicht ihre Haltung. Jordanien, der Libanon, die Türkei – diese Staaten hätte zusammen viele Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Wenn ein wohlhabender Kontinent wie Europa sage, „das ist eure Sache, dann wird uns das historisch nicht gut bekommen“.

Die Polarisierung der Deutschen

Die Kanzlerin kämpft an zwei Fronten gleichzeitig. International muss sie widerstrebende Staatsmänner für ihren Kurs gewinnen, daheim in Deutschland sind die Zustimmungswerte für sie persönlich wie für ihre Partei schlecht. Von einer „Polarisierung“ der deutschen Bevölkerung spricht sie in der Liederhalle, von „harten Auseinandersetzungen“. Die Republik habe viele solcher politischen Kämpfe durchlebt – um die Wiederbewaffnung, um die Atomkraft, auch den Streit um S 21 zählt Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Reihe mit auf. Sie habe inzwischen gelernt, auch mit den unfairen Anwürfen, mit dem Hass zu leben, der ihr als Politikerin in solchen Phasen entgegenschlage.

Merkel war am Nachmittag zu einem Wahlkampfauftritt in Nürtingen, bevor sie nach Stuttgart kam. Wie viel Verantwortung sie sich selbst gibt für das voraussichtlich schlechte Abschneiden ihrer CDU bei der kommenden Landtagswahl? Solche Fragen lässt Merkel an sich abtropfen. Sie habe die Regel, „dass man sich mit Spekulationen nicht befasst“. Als Krisenmanagerin auf internationaler Bühne wie als Wahlkämpferin mache es keinen Sinn, zu viel über ein mögliches Scheitern nachzudenken – denn dann sei „die Hälfte der Kraft weg für die Lösung“.