Beim Festival Handicaptions diskutiert eine Podiumsrunde, wie Kunst Behinderter wahrgenommen wird – und wie sie wahrgenommen werden will.

S-Mitte - Das Kernproblem spiegelt sich schon im Verhältnis der Kopfzahl auf und vor der Bühne: sechs oben, auf dem Podium, zwölf unten, im Publikum. Jene sechs verfolgen ein Anliegen, weniger mit dem Kopf, mehr mit dem Herzen. Fünf der Sechs vertreten Behindertenverbände.

 

Jene zwölf, die ihnen zuhören, sind bereits überzeugt. Diejenigen, die überzeugt werden sollen, sind ferngeblieben. Es sind diejenigen, die „Menschen mit Behinderung immer wie Kinder ansehen“; das ist die Mehrheit, was sich allein darin zeigt, dass die Betroffenen fortwährend geduzt werden. So beklagt es Volker Ditzinger von den Behindertenwerkstätten Esslingen/Kirchheim. „In der Verwaltung ist das Thema angekommen, in den Köpfen leider noch nicht.“ So sagt es die Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann, die Nummer sechs auf der Bühne. Sie ist – kurios genug – verwaltungstechnisch auch für den Sport zuständig .

Damit ist Eisenmann formal eine Fehlbesetzung. Ihre Kollegin Isabel Fezer, Ressort Soziales, sollte an ihrer Statt auf dem Podium sitzen. Eben nicht – genau diese Denkweise ist Teil des Problems. Dies ist die Kernaussage, die das Publikum hört. Die Runde ist Teil des Festivals Handicaptions, das die Kulturinitiative Bohnenviertel alljährlich veranstaltet, allen voran der Cheforganisator, Künstler und Regisseur Axel Clesle, dessen Theatergruppe Rapsoden nicht nur innerhalb der Stadtgrenzen zu einiger Bekanntheit gekommen ist. In ihr schauspielern behinderte und nichtbehinderte Laien gemeinsam. Die jüngste Premiere des Stückes „Inclusio“ war sogar dem SWR eine Dokumentation wert.

Aus der Fernsicht ist das Festival eins des Mitleidheischens

Die Handicaptions sind eine Fortsetzung dieser Theaterarbeit mit anderen Mitteln. Bei ihnen präsentieren vor allem behinderte Kulturschaffende sich, ihre Arbeit, ihre Werke. Aus des Volkes Fernsicht sind sie damit ein Festival des Mitleidheischens: Kommet und sehet, auch wenn es nur Kunst von Behinderten ist. Aus der Nähe betrachtet, sind sie ein Festival des Frohsinns.

Bei seiner Theaterarbeit entsteht im Zusammenspiel geistig und körperlich Behinderter mit gelegentlich nassforschen Jugendlichen „vielleicht eine neue Art der Ästhetik“, sagt Axel Clesle. Das mag eine Schublade zu hoch gegriffen sein, aber in jedem Fall entsteht dabei Sehenswertes, nicht obwohl Behinderte diese Art der Kultur schaffen, sondern gerade weil sie diese Art Kultur schaffen. „Bei einem gewöhnlichen Theaterstück kommt es vor allem auf Perfektion an“, sagt Rudolf Straub von der Theatergruppe des Bürgerhospitals, „bei unseren auf Begeisterung“.

Applaus zu verweigern, ist nicht verboten

Das Ergebnis möge jedem einzelnen gefallen oder es möge missfallen, ganz wie im herkömmlichen Theater, wo nicht verboten ist, den Applaus zu verweigern oder vorzeitig den Saal zu verlassen, aber egal ob schimpfend oder lobend: „Das Publikum soll sich über die Kunst unterhalten, nicht darüber, dass dort Menschen mit Behinderung auf der Bühne stehen“, sagt Dieter Feser von der Blindenhilfsorganisation Nikolauspflege.

In gewissem Sinne – im finanziellen – wird der Gemeinderat entscheiden, ob er sich diesem Ziel nähert. Bisher musste Clesle das Geld für seine Aufführungen zusammenkratzen. Zuschüsse für sein Theater seitens der Stadt bekam er nur gelegentlich aus Sonderetats. „Das tut mir echt leid“, sagt die Kulturbürgermeisterin, „ich hoffe, dass wir in diesem Jahr zu einer verlässlichen Förderung kommen.“ Selbst wenn, wäre auch die erst ein Anfang, denn: „Das geht nicht nur Herrn Clesle so.“

Das Restprogramm
der Handicaptions: Das Festival im Bohnenviertel dauert noch bis Samstag, 11. Juli. Am Freitag um 18 Uhr tritt die Dr. Mahockta-Band auf. Der Samstag beginnt um 14 Uhr mit einem Fest samt kleinem Flohmarkt. Um 15 Uhr werden Stücke gespielt, die der Profimusiker Wolfgang Schmid mit Teilnehmern eines Workshops erarbeitet hat. Zum Schluss spielt von 16 Uhr an die Hofschaumbühne – die Theatergruppe des Bürgerhospitals – ihr Stück „Der Schuh der Lulu“. Veranstaltungsort ist der Innenhof des Hauses an der Brennerstraße 23. Karten kosten zehn Euro.