Das US-Nachrichtenportal „Politico“ will seinen Erfolg mit Hilfe des Springer-Verlags in der EU-Hauptstadt Brüssel wiederholen. Das Magazin richtet sich vor allem an die Akteure in Politik und Wirtschaft.

Brüssel - Mit der großen Sause zum Start haben sie ein wenig Pech gehabt. Wenn an diesem Donnerstagabend in den neoklassizistischen Hallen des Brüsseler Automuseums der europäische Ableger des US-Nachrichtenmagazins „Politico“ seine Ankunft feiert, wird so mancher potenzielle Leser fehlen. Wegen der immer schlimmeren Flüchtlingskatastrophen findet parallel und nur 500 Meter entfernt ein kurzfristig anberaumter EU-Sondergipfel statt – der nicht wenige Diplomaten, EU-Beamte und Journalisten am Kommen hindern dürfte. Und auch Ratschef Donald Tusk aus Polen, der eigentlich kommen wollte, hat abgesagt.

 

An Aufmerksamkeit mangelt es der Neugründung dennoch nicht. In Zeiten, da in der Verlagsbranche nicht eben von Aufbruchsstimmung gesprochen werden kann, ist es zumindest bemerkenswert, dass der deutsche Springer-Verlag das mäßig erfolgreiche Blatt „European Voice“ aufgekauft hat, um damit in einem Joint Venture mit den Amerikanern etwas Neues zu wagen. Konkret soll der Erfolg von „Politico“ in der US-Hauptstadt, wo es seit der Gründung 2007 zum Leitmedium der Washingtoner Politik- und Wirtschaftsblase aufgestiegen ist, in Brüssel kopiert werden.

Wie in Washington gibt es nicht nur einen öffentlich zugänglichen Internetauftritt, der seit Dienstag online ist, sondern auch eine Reihe themenbezogener Newsletter, die Teil des kostenpflichtigen Zusatzangebots sind. Die wöchentliche Zeitung, die an diesem Donnerstag zum ersten Mal gedruckt wird, soll ebenfalls Geld kosten, wird aber, so Marketingchef Gabe Brotman, „nicht als größere Einnahmequelle gesehen.“ Das sollen neben den Abos vor allem die Onlinewerbung und gesponsorte Veranstaltungen richten, die – wie sogleich betont wird – unabhängig in der Auswahl von Themen und Gästen sein soll.

Der morgendliche Rundbrief hat viele Leser

Spaß machen soll das Ganze auch. „Wir wollen eine lustige Party ausrichten für all jene, die europäische Politik leben und atmen“, sagt der Chefredakteur Matthew Kaminski, ein Amerikaner polnischer Abstimmung, der viele Jahre Brüssel-Erfahrung unter anderem für das „Wall Street Journal“ und die „Financial Times“ auf dem Buckel hat. Für den Spaßfaktor ist nach US-Vorbild vor allem das sogenannte „Playbook“ zuständig, ein kostenloser morgendlicher Rundbrief, nach zwei Tagen immerhin schon 35 000 mal abonniert, mit Klatsch und Tratsch aus der „Brussels bubble“, der Brüsseler Politikblase.

Auf sie wollen die Macher die Zielgruppe nicht beschränkt wissen, ein Produkt für Jedermann aber wird „Politico“ ebenfalls nicht sein. „Wir wollen Leute erreichen, die genauso besessen sind von europäischer Politik wie wir und etwas durch sie zu gewinnen oder verlieren haben“, erzählt Florian Eder, bis vor Kurzem noch Brüssel-Korrespondent des Springer-Blattes „Die Welt“, nun Mitglied der Chefredaktion von „Politico“: „Wir sehen es nicht als unseren Auftrag, den EU-Bürgern die EU zu erklären.“ Es geht also um politische Entscheidungsträger, Firmenchefs, Verbandschefs. Nach dem „Zwiebel-Prinzip“, das der amerikanische Gründer John F. Harris ausgegeben hat, würden sich ähnlich der vielen Schalen der Zwiebel immer mehr Leute dafür interessieren, was auch die wichtigen Menschen in der Mitte interessiert.

Das Medium könnte einflussreich werden

So taugt „Politico“ nur begrenzt als neues Beispiel dafür, europäische Öffentlichkeit zu schaffen für eine europäische Politik, die immer mehr zu sagen hat. „Das ist eigentlich ein Zielgruppenmedium, weniger ein Projekt europäischer Öffentlichkeit“, sagt die Berliner Kommunikationswissenschaftlerin Barbara Pfetsch, die auf die Sprachbarriere des vorerst nur auf Englisch erscheinenden Magazins und die starke Orientierung an Politikern und Lobbyisten verweist. „Aber dadurch hat es natürlich das Potenzial, einflussreich zu sein und Themen zu setzen, die dann auch in den nationalen Medien übernommen werden.“

Die Verantwortlichen haben frühere Versuche, eine europäische Berichterstattung ohne nationale Brille auf die Beine zu stellen, genau studiert – von „The European“ über „The European Voice“ bin hin zu den Onlineportalen „Euractiv“ und „Europolitics“. Weil diese wahlweise zu wenig unabhängig, zu langweilig oder zu wenig engagiert betrieben worden seien, glauben sie, bei „Politico“ mehr Erfolg zu haben.

So wie sie denken, dass noch lange nicht genug aus und über Brüssel geschrieben wird – trotz des Überdrusses, den die bloße Erwähnung gelegentlich auslöst. „Es gibt zu wenige Journalisten in Brüssel“, sagt Chefredakteur Kaminski, „und sie haben nicht die Zeit oder die Mittel, um das Geschehen in der Stadt abzubilden, die für die Leben ihrer Leser relevanter ist als je zuvor.“ Er setzt nun nicht weniger als 36 Journalisten aus zwanzig Ländern mit der Kenntnis von 14 Sprachen auf die Brüsseler Politik an. Hinzu kommen Korrespondenten in Berlin, Paris, London, Frankfurt und Moskau – Hilfe aus Washington gibt es ohnehin.