Kultur: Tim Schleider (schl)

In Russland, der Türkei oder in Venezuela ist der Umbau von System und Gesellschaft schon erschreckend weit vorangeschritten. In den USA scheint Präsident Trump dagegen die Energie des traditionellen politischen Systems, die berühmten Checks and Balances der amerikanischen Verfassungsorgane, unterschätzt zu haben; vermutlich waren ihm diese Mechanismen zuvor auch gar nicht bekannt. Die Frage, wie weit Trump nun bereit ist, im Kampf gegen seine Gegner noch stärker jene Gruppen im Land zu aktivieren, die mit der offenen, multikulturellen Gesellschaft brechen wollen, gern auch mit Gewalt, ist derzeit noch beunruhigend offen.

 

Warum sind Populisten per se Feinde des Westens? Weil eine der wichtigsten historischen Errungenschaften des Westens die Erkenntnis ist, dass es „das“ Volk gar nicht gibt. Es stimmt zwar, alle Macht geht vom Volk aus, aber dieses Volk ist eine große Sammlung von Individuen, die sich je nach politischer, sozialer, weltanschaulicher, auch geschlechtlicher Herkunft mal so und mal so formieren, zu Gruppen unterschiedlichster und zu Bündnissen wechselnder Art. Die Verfassungen des Westens sind der Versuch, Instanzen und Abläufe zu definieren, die politische Entwicklungen ermöglichen, unterschiedliche Interessen ausgleichen und stets offen sind für die nötigen Korrekturen. Und das entscheidende Instrument dafür ist eben nicht das Wundermittel der Volkshelden – Grenzen dicht, Mauern hoch, Bier für alle –, sondern der Kompromiss.

Aus „Der Staat bin ich“ wird „Das Volk bin ich“

Nichts verteufeln die modernen Populisten so sehr wie den Kompromiss zwischen unterschiedlichen politischen Zielen, Werten und Positionen. Gegen die sehr unterschiedlichen Interessen in einer Gesellschaft setzen sie die Vereinigungsgewalt durch die Konstruktion von Feindbildern, seien es nun äußere oder innere Feinde. Und wie bezeichnend, dass in Ländern wie Venezuela, der Türkei oder Russland just jene Akte, mittels derer das Volk tatsächlich seinen Willen bekunden kann, die Wahlen, längst nur noch ein politischer Spielball sind, ein- oder ausgesetzt al gusto.

„Der Staat bin ich“, formulierte einst der absolutistische Monarch. „Das Volk bin ich“, lautet die moderne populistische Variante davon. Beides ist zugleich Anmaßung und Kampfansage. Wer die Verrohung und Gewalt fürchtet, die beiden Anschauungen unweigerlich folgen müssen, kann nur jene Werte verteidigen, die der Westen für essenziell hält – Vielfalt, Differenzierung, geregelter Streit, Ausgleich. Populisten sind keineswegs nur jene halt ein bisschen strammer auftretenden Konservativen, als die sie von manchen Leitartiklern gern verharmlost werden. Sie sind Verächter des Westens.